Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

626 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
zu Schlössern verwandeln könnte, so würde ich in dem Glauben, daß 
mit leichtem und ruhigem Gewissen es sich glücklicher und behaglicher in 
einer Hütte, als mit einem beschwerten im Palaste selbst wohnen läßt, 
dagegen stimmen.“ Und wieder verteidigte Vincke in einer hinreißen- 
den Rede das, was er Recht nannte: „Es gibt Lagen in dem Leben 
der Staaten, wo der Patriot sein Haupt verhüllt, in sein Inneres zu- 
rückgeht und den festen Entschluß faßt, nur der inneren Stimme zu folgen, 
welche ihm zuruft: tue recht und scheue niemand!“ Hansemann aber 
benutzte die Gelegenheit, um auch den Kriegsschatz anzugreifen, der, nach 
seiner kaufmännischen Weltanschauung, dem Staate in Zeiten der Be- 
drängnis viel weniger nützte als eine gute Nationalbank, und beantragte, 
die Krone möge vorläufig 10 Mill. aus dem Staatsschatze für diesen Eisen- 
bahnbau verwenden. Dabei tat er den kühnen Ausspruch, der in der 
zartbesaiteten Geschäftswelt überall Widerhall fand und alsbald zum ge- 
flügelten Worte wurde: „in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf.“ 
Und war denn das Recht, um dessentwillen so viel Pathos ver- 
schwendet wurde, wirklich so unzweifelhaft und so wertvoll? Konnten die 
Ostpreußen nach Vollendung der Ostbahn wirklich nicht mehr in ihren 
Hütten und Palästen mit ruhigem Gewissen schlafen — bloß weil der 
Vereinigte Landtag seine periodische Berufung zwar mit Gewißheit er- 
warten durfte, aber noch nicht förmlich zugesichert erhalten hatte und das 
Recht der Bewilligung von Kriegsanleihen noch nicht besaß? Durften 
die Stände wegen solcher Spitzfindigkeiten das Wohl des Landes mit 
Füßen treten und ein Gesetz, das sie selber vollkommen billigten, zurück- 
weisen? Otto v. Bismarck wenigstens vermochte diesem Rechtsfanatismus 
nicht zu folgen. Unter dem lauten Murren der Versammlung warf er 
den Gegnern vor, sie wollten „gleichsam ein Retentionsrecht an dem 
Rechte der Anleihebewilligung ausüben“; er fragte, ob sie es nicht selber 
„mit dem Namen der Erpressung brandmarken“ würden, wenn die 
Regierung ihre administrativen Wohltaten von dem politischen Verhalten 
der Provinzen abhängig machte? Die Warnung des jungen Feudalen, den 
man überall nur für einen Heißsporn der Reaktion ansah, fruchtete nichts. 
Die Anleihe wurde mit Zweidrittel-Mehrheit verworfen, obgleich der 
gesamte Herrenstand mit einer einzigen Ausnahme dafür stimmte. Da 
die Stände jedoch den Unsinn dieser Ablehnung selber fühlten, so fügten 
sie noch die völlig widersprechende Bitte hinzu: der König möge dem 
nächsten Landtage eine neue Proposition über die Ostbahn vorlegen 
und bis dahin die begonnenen Arbeiten fortsetzen lassen. 
Diese unselige Verhandlung entschied über das Schicksal des Land- 
tags. Sie brachte den König, der die ganze Verwirrung freilich selbst 
verschuldet hatte, Zzu der Einsicht, daß er sich mit seinen Ständen nicht 
verständigen könne. Wie hoffnungsvoll war er in die neue Laufbahn 
eingetreten. Soeben erst hatte er sich von Cornelius die Zeichnung für 
*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.