Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Woher und Wohin? 57 
es in seiner Entwicklung fördert, dann straft die Zeit.“ In dieser nach— 
drücklichen Mahnung und in der Persönlichkeit des Verfassers lag die 
einzige Bedeutung der Blätter; von eigentümlichen Gedanken enthielten 
sie nichts, und obwohl die beständigen Ausfälle auf „die Dienerschaft“ un— 
verkennbar auf Friedrich Wilhelms persönliche Abneigung berechnet waren, 
so mußten doch der absprechende Ton der Darstellung, die hochmütige 
Verunglimpfung der gesamten Vergangenheit Preußens, und vollends 
gar die Berufung auf die heidnischen Junghegelianer den König in tiefster 
Seele verletzen. Darum meinte sein Vertrauter Geh. Rat v. Voß, als 
er mit Erstaunen den Namen des Verfassers erfahren hatte: „Ich fand 
die Schrift sehr albern und riet auf einen Querkopf von Gutsbesitzer. 
Aus Schöns Stellung heraus liegt aber in der Abfassung einer solchen 
Schrift etwas völlig Verrücktes, und das hat mir ganz melancholische 
Empfindungen gemacht.“ 2) 
Aber wie ungeschickt immer, diese Blätter waren zweifellos Schöns 
Ministerprogramm; er wollte dadurch entweder den König gewinnen, oder, 
wenn dies mißlang, durch die Forderung der Reichsstände ein weithin 
leuchtendes Panier aufstecken, das die zerfahrene, ratlose Opposition des 
Landes um sich sammeln sollte. Der Gedanke war wohl berechtigt, nur 
mit der Stellung eines Oberpräsidenten kaum vereinbar. Späterhin be- 
hauptete Schön freilich, sein Woher und Wohin? hätte nur als eine ge- 
schichtliche Urkunde dienen sollen, um den Kulturstand des Königreichs 
Preußen im Jahre 1840 der Nachwelt zu überliefern. Doch unmöglich 
konnte der welterfahrene alte Staatsmann glauben, eine solche Schrift von 
solchem Verfasser würde auf die Dauer geheim bleiben, nachdem sie in der 
Königsberger Hofbuchdruckerei gedruckt, an mehrere Archive verteilt und 
fünf Freunden von sehr verschiedener politischer Gesinnung vertraulich 
zugesendet worden war. Der König selbst hielt diese Geheimhaltung für 
undenkbar und antwortete dem Oberpräsidenten am 26. Dez. sehr offen- 
herzig, jetzt sei eine Prüfungszeit für ihre alte Freundschaft eingetreten. 
„Woher und Wohin? gefällt mir nicht.“ Das Woher, die historische 
Darstellung hätte so kurz nach dem Tode des alten Königs anders ge- 
faßt werden müssen; das Wohin aber „wird Ihren Freunden Leid, Ihren 
Feinden Frohlocken bereiten“. Dann hielt er ihm alle die unbedachten 
liberalen Redensarten der Schrift vor: daß die Landwehr wie ein Heer 
der Volksvertreter dem Heere der Krone entgegengestellt würde, daß die 
Generalstände sich die Verwaltung zueignen sollten: „die Perspektive ist 
ermutigend für mich!“ Darauf betonte er nochmals den Grundgedanken 
seiner über allem Untertanen-Vorwitz erhabenen Politik: „Ich fühle 
mich ganz und gar von Gottes Gnaden und werde mich so mit Seiner 
Hilfe bis zum Ende fühlen. Glauben Sie mir's auf mein königliches 
  
*7) Voß an Thile, 31. Dez. 1840.
	        
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