Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

642 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
genugsam bewiesen hatten. Einstimmig erklärten sie, daß sie wählen würden, 
wenn auch unter Vorbehalt der Rechte des Landtags. Das Ergebnis war, 
daß nur 58 Abgeordnete sich der Wahl enthielten; darunter waren 
28 Rheinländer, Hansemann, Mevissen und ihre Anhänger, aber kein 
einziges Mitglied der Herrenkurie. 157 Mitglieder wählten unter ver— 
schiedenen Vorbehalten, die allesamt gesetzlich nichts bedeuteten; 284 wähl- 
ten unbedingt. Der Versuch, die Erklärung der Rechte zu wiederholen, 
war also kläglich gescheitert; Vincke hatte abermals seiner eigenen Partei 
eine Niederlage bereitet. Gleichwohl hinterließ diese vielbestrittene Wahl 
peinliche Eindrücke. Man trennte sich nicht gerade in Feindschaft, aber 
mit dem schmerzlichen Gefühle, daß köstliche Kräfte fast nutzlos vergeudet 
waren. Bodelschwingh selbst sprach, als er die Sitzungen schloß, tief be- 
wegt aus: „daß die Ergebnisse des Vereinigten Landtags weniger frucht- 
bringend für das Land gewesen sind, als sie es hätten sein können.“ Im 
Volke hatten die glänzenden Redner des Landtags viel Bewunderung ge- 
funden; ihnen gegenüber war das gefürchtete Beamtentum, da es eigent- 
lich nur durch Bodelschwingh und einige tüchtige Regierungskommissäre, 
wie Kühne, würdig vertreten wurde, sehr schwach erschienen, viel schwächer, 
als es wirklich war. Jedoch ein starkes, sicheres Gefühl, sei es des Hasses, 
sei es der Freude, konnten diese so geistreichen und doch so wunderlich 
verworrenen Verhandlungen nirgends erregen. Auch die Treuen wußten 
nicht mehr, woran sie sich halten sollten, und solcher ratloser Mißmut war 
zu allen Zeiten der fruchtbare Nährboden der Revolution. An dieser ge- 
fährlichen Verstimmung trug aber niemand größere Schuld als der König, 
der die Nation so ganz väterlich nach seinen unerforschlichen Ratschlüssen 
gängeln wollte. 
Die Schlußverhandlungen des Landtags steigerten den Unwillen 
Friedrich Wilhelms aufs Höchste. Er dachte alles Ernstes, die Abgeord- 
neten, welche die Wahl verweigert hatten, aus dem Landtage auszuschließen 
oder sie wegen Ungehorsams zu bestrafen. Die Oberpräsidenten der unzu- 
friedenen Provinzen aber stellten ihm allesamt dringend vor, solche Maß- 
regeln würden die Mißstimmung verschärfen, und so ward der Plan auf- 
gegeben.*) Besser begründet war der Zorn des Königs wider die Landräte 
Vincke, Bockum-Dolffs, Bardeleben, Platen, die sich unter den Liberalen 
hervorgetan hatten. Sobald es ernst ward mit dem ständischen Leben, 
mußte die Stellung der Regierungsbeamten im Landtage irgendwie ge- 
ordnet werden. Daß der Landrat Vincke, der Untergebene Bodelschwinghs 
als Führer einer unversöhnlichen, die gesamte Rechtsanschauung der Mi- 
nister bestreitenden Opposition aufgetreten war, ließ sich mit der Manns- 
zucht einer geordneten Verwaltung kaum noch vereinbaren. Auf königlichen 
  
*) Berichte an Bodelschwingh von den Oberpräsidenten Wedell, 17. Juli, Eich- 
mann, 8. Juli, Bötticher, 5. Aug. 1847.
	        
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