Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

668 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
Berlin; denn ohne die sichere Hilfe der beiden Großmächte wollte der 
Kurfürst nichts wagen, von Metternich hatte er sich auch sogleich, wie schon 
oftmals früher, brieflich Rat erbeten. König Friedrich Wilhelm schwankte 
keinen Augenblick, er nannte den Hessen kurzweg einen bösen Mann und 
wollte mit diesen Umsturzplänen nichts zu schaffen haben. Einer Wieder- 
holung des welfischen Staatsstreichs war die aufgeregte Zeit wahrlich nicht 
günstig. Demgemäß sendete Canitz schon am 30. Nov. eine Weisung an 
Galen, die dem hessischen Hofe mitgeteilt wurde. Sie warnte dringend 
vor ungesetzlichen Schritten: fände der neue Herr einzelne Sätze der ra- 
dikalen Verfassung ganz unerträglich, so möge er den Bundestag um die 
Verbürgung des Grundgesetzes bitten; dann böte sich von selbst die Ge- 
legenheit, mit den Landständen über einige Veränderungen friedlich zu ver- 
handeln. Canitzs Rat war ebenso wohlgemeint, wie seine gleichzeitigen 
Mahnungen an den dänischen Hof; er konnte, rechtzeitig befolgt, dem 
hessischen Lande traurige Kämpfe ersparen. Doch in Kassel wie in Kopen- 
hagen waren die Menschen stärker als die Vernunftgründe. Einen bru- 
talen Staatsstreich mit Beihilfe der beiden Großmächte hätte der Kurfürst 
wohl gewagt, aber zu schwierigen Verhandlungen mit dem Bundestage 
und den Landständen zugleich besaß er weder den Mut, noch den Verstand, 
noch den guten Willen. In Canitzs Sinne sprach auch General Gerlach, 
der die Beileidsbezeigung des Königs überbrachte; der gewann einen sehr 
traurigen Eindruck vom Kasseler Hofe, er fürchtete, dieser Fürst hätte „ein 
böses Herz, absolutistische Gesinnung, Habsucht und Mangel an Liebe zu 
seinem Lande“. Noch während er in Kassel weilte, erschien, am 11. Dez., 
Hofrat Philippsberg aus Wien mit der Antwort Metternichs und einem 
begleitenden Gutachten. Diese österreichische Denkschrift stimmte fast wört- 
lich mit Canitzs Depesche überein und war also vermutlich mit dem 
Berliner Hofe verabredet. ) Welch ein Wandel der Zeiten! Im Jahre 
1831 hatte Metternich eine Bundesgarantie für diese radikale Verfassung 
entschieden zurückgewiesen), und ein an den Höfen allgemein geglaubtes 
Gerücht behauptete, daß er auch später noch mit dem Prinzregenten wegen 
eines Staatsstreiches verhandelt hätte. Und jetzt riet er dem neuen 
Kurfürsten selbst, die Bürgschaft des Bundes für das Grundgesetz nach- 
zusuchen, allerdings unter Bedingungen, die sich noch nicht absehen ließen. 
Von einem gewaltsamen Umsturz wollte er nichts mehr hören. Durch 
diese Erklärungen der beiden Großmächte war der hessische Staatsstreich 
vorläufig abgewendet; ein mahnender Brief, den der Prinzgemahl Albert 
am 12. Dez. an den König von Preußen sendete, traf erst lange nach der 
Entscheidung ein. 
Sichtlich enttäuscht beschied der Kurfürst wenige Stunden nach Ein- 
  
*) Galens Berichte, 4. 8. 11. 12. Dez. 1847. 
124) S. o. IV. 137.
	        
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