60 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Trotzdem wollte Friedrich Wilhelm seine Großmut zeigen. In einem
großen Kronrate am 23. Dez., dem auch Grolman und Flottwell bei—
wohnten, wurde beschlossen, zwar die Eingabe Raczynskis unbeantwortet
zu lassen, aber den Beschwerden der Polen insoweit abzuhelfen, daß
der nächste Landtag keinen Grund mehr fände, sie zu erneuern.“) Das
war Flottwells Sturz. Der tapfere Deutsche mit den feurigen tiefen
Augen durfte sich's nicht bieten lassen, daß man die völlig bodenlosen
Klagen seiner polnischen Feinde für halb begründet erklärte. Schon am
31. Dez. wurde er, unter allen Zeichen königlicher Gnade, als Oberpräsident
nach Sachsen versetzt. Die Polen hatten ihr Spiel gewonnen. Mit dieser
Tat gutmütiger Schwäche endete das erste Jahr der neuen Regierung.
Was aus solchen Widersprüchen noch hervorgehen würde, das ahnte nie—
mand, nicht einmal Friedrich Wilhelms nächste Vertraute. Schweren
Herzens schrieb um die Jahreswende Graf Anton Stolberg an den
wackeren Präsidenten von Cuny in Aachen und beschwor den alten Freund,
keinem der umlaufenden finsteren Gerüchte Glauben zu schenken, sondern
„der religiösen, aber wahrhaft freisinnigen Richtung“ des Monarchen zu
vertrauen. „Der König will und wird gehen (das ist sein eigener
Ausdruck). Er wird als souveräner König ohne Charte gehen und die
Bedürfnisse seiner Zeit erkennen, das halten, was er ausgesprochen in den
unvergeßlichen Reden zu Königsberg und Berlin.“*“*“) Mehr wußte selbst
Stolberg nicht zu sagen.
Draußen im Reiche aber, wo man schon geblendet von dem neu
aufstrahlenden Glanze der Krone Friedrichs die Augen niedergeschlagen
hatte, begann der alte Preußenhaß wieder hohe Wellen zu werfen. Man
rieb sich die Hände, weil die großen Dinge wieder einmal ein kleines
Ende zu nehmen schienen. Recht aus dem Herzen der radikalen deutschen
Jugend sang der geistreichste der neuen politischen Lyriker, der kosmopo-
litische Nachtwächter Franz Dingelstedt, die höhnenden Gaselen:
Ihr habt gepredigt, nun ein Jahr, die neue, treue, freie Zeit;
Wann wird die Mär denn endlich wahr, die neue, treue, freie Zeit?
Ihr saßt schon lange auf dem Ei und gackertet in alle Welt,
Allein noch kroch nicht aus der Aar, die neue, treue, freie Zeit.
Ein stolzes Wort habt ihr gewagt; nun eilt, daß es zu Ende kommt,
Und macht uns andern offenbar die neue, treue, freie Zeit! —
*) Protokoll über die Verhandlung vor Sr. Majestät, am 23. Dez. 1840.
*7“) Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.