Wilhelm von Württemberg und die Volkswünsche. 673
das neue liberale Programm, das jetzt in Süddeutschland die Runde
machte. König Wilhelm aber hatte mit den Gedanken seiner Jugend längst
gebrochen und urteilte über diese Volkswünsche scharf: „ich bin durch
eine lange Erfahrung von der Unausführbarkeit überzeugt.“ Zumal die
Preßfreiheit war ihm ein Greuel; und allerdings sah er sich auch per—
sönlich in den Brandschriften, die aus der Schweiz herüberflogen, schänd—
lich angegriffen. Er unterhielt um jene Zeit ein zartes Verhältnis mit
einer Schauspielerin Stubenrauch; die Sache war nicht der Rede wert,
denn wie hätten Weiber diesen kalten, trockenen, selbstischen Mann je be—
herrschen können? — die demagogischen Pamphletisten aber stimmten ein
Wutgeschrei an, als ob auch Württemberg von einer Lola regiert würde.
In den allerheftigsten Worten äußerte sich der König über diese feile Dirne,
die Presse, die gleich dem Branntwein trinkenden Matrosen sich zuletzt nur
noch beim Scheidewasser wohl fühle. „Nie und nimmer“, so sagte er im
Nov. 1842 zu Rochow, könne man auf die Zensur verzichten, am wenigsten
in den konstitutionellen Staaten; und als der Preuße einwarf, sachliche
Besprechungen seien doch notwendig, da ward ihm die Antwort: nein,
die Politik der Bundesstaaten kann nur in den Behörden der Regierungen
liegen, wer den Zusammenhang nicht kennt, hat kein Urteil. So ward
auch in Stuttgart ein Niemals! ausgesprochen, glücklicherweise nicht öffent—
lich, und es sollte hier noch schneller als in Berlin und Hannover durch
die Macht der Tatsachen widerlegt werden. Ganz in der kleinlichen Weise
des Ministeriums Abel, das er doch selbst verabscheute, behandelte der
König seine Zeitungen. Über württembergische Zustände durften sie kein
freies Wort wagen, auf die Großmächte mochten sie ungestraft schelten,
während die preußische Zensur angewiesen war, die Besprechungen aus-
wärtiger Verhältnisse strenger zu behandeln als die Artikel über das In-
land. Und dabei beklagte er sich beständig, wenn die schwäbischen Liberalen,
die daheim nicht reden konnten, in der Kölnischen Zeitung oder in anderen
preußischen Blättern ihre Empfindungen kundgaben. Rochow meinte:
„man wünscht geschont zu werden, schont aber andere nicht; man klagt
über andere und vergißt, daß man selbst zu Beschwerden Anlaß gibt.“)
Des Königs einziger Vertrauter blieb sein alter Freund Frhr. v.
Maucler, der als tatsächlich unverantwortlicher Präsident des bloß beraten-
den Geheimen Rates bei den meisten Beamten-Ernennungen das entschei-
dende Wort sprach. Die Verwaltung des Innern führte, umgeben von
einem Stabe klug ausgewählter tüchtiger junger Räte, Minister Schlayer,
noch immer in seiner alten streng bureaukratischen Weise, aber geschickt und
sorgsam; an der Spitze des Justizwesens stand der gestrenge Prieser, der
gleich manchen anderen verhaßten Beamten Süddeutschlands seine Schule
in der Mainzer schwarzen Kommission durchgemacht hatte. Gehorsam
*) Rochows Berichte, 30. Nov. 1842, 20. Febr. 1843.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 43