674 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
und Ruhe ward unbedingt gefordert. Darum blieb der ungläubige, den
Klerikalen so feindselige König auch den Tübinger Hegelianern immer
gram; er hielt sie für Friedensstörer und verbot dem Asthetiker Vischer
für einige Zeit die Vorlesungen, als die Geistlichkeit wegen der panthe—
istischen Antrittsrede des neuen Professors Lärm schlug. Noch kleinlicher
verfuhr er gegen Vischers Amtsgenossen Robert Mohl, der sich doch durch
sein Württembergisches Staatsrecht als ein würdiger Nachkomme des alten
J. J. Moser bewährt hatte. Mohl bewarb sich um einen Sitz in der
Kammer und richtete an einen seiner Wähler ein nicht einmal für die
große Offentlichkeit bestimmtes Schreiben, das die Gebrechen des Re—
gierungssystems scharf beleuchtete; daraufhin wurde er an eine kleine
Verwaltungsstelle versetzt, er forderte seinen Abschied und die Schwaben
mußten ihren ersten Staatsrechtslehrer nach Heidelberg ziehen sehen.
In den Landtagsverhandlungen hallten die hannoverschen Gewalt-
taten noch lange nach. Der welfische Staatsstreich hatte die süddeutschen
Konstitutionellen unbeschreiblich erbittert, und selbst Rochow, der mit
Wolfgang Menzel vertraulich umging, konnte sich dieser Stimmung seiner
Umgebungen nicht entziehen; er meinte, „es heiße mit dem deutschen
Fürstenworte Hohn treiben“, wenn der Bund in einer solchen Sache
gar nichts täte.') Der Bundestag blieb freilich unbelehrbar. Die schwä-
bische Oppositionspartei bemerkte bald, welch einen Fehler sie durch ihren
Rückzug aus der Kammer begangen hatte. Seit dem Jahre 1845 traten
mehrere ihrer Mitglieder wieder ein, voran Römer, der erste Redner
des Landtags. Er bekämpfte vornehmlich die Härte der Zensur und ge-
langte bei diesen berechtigten Angriffen immer wieder zu dem unhaltbaren
Schlusse, daß die Landesverfassung den Bundesgesetzen vorgehen müsse.
Partikularist war er darum doch nicht; vielmehr unterhielt er mit den
badischen und rheinischen Freunden lebhaften Verkehr und erwog mit
ihnen, wie dem Jammer des Bundestags endlich abzuhelfen sei. Großen
Unmut erregte im Lande die Verlobung des Kronprinzen Karl mit der
bildschönen, in Bayern wie in Österreich verschmähten Großfürstin Olga.
Der leere, nichtige, dem klugen Vater ganz ungleiche Thronfolger stand
ohnehin in schlechtem Rufe; als die Großfürstin in mädchenhafter Über-
schwenglichkeit ihm schrieb, sie hoffe seiner wert zu sein, da meinte Rochow,
der die beiden Brautleute gründlich kannte: „Das ist zu viel! Ich kann
ihr nicht Glück wünschen.“ Der König, der doch vor Jahren selbst eine
Großfürstin heimgeführt hatte, gab jetzt, unter ganz veränderten Verhält-
nissen, nur zögernd seine Einwilligung, und im Volke äußerte sich überall
der Widerwille gegen diese russische Familienverbindung. Der Zar selber
ließ sich durch den herkömmlichen Einzugsjubel keineswegs täuschen. Oft
äußerte er ingrimmig zu Rochow: wir gelten in Deutschland heute gar
—
*) Rochow, Promemoria über die hannoversche Verfassung, März 1842.