700 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
nach dem Vorbilde des Zollvereins abschließen, Verträge, welche späterhin
dem gesamten Vaterlande zu gute kommen müßten. Also schien der
König endlich zu begreifen, daß die Erfüllung der nationalen Einheits-
wünsche jetzt die erste Pflicht konservativer Politik war; er schien sich
den kühnen Gedanken zu nähern, welche zur selben Zeit Mathy in Hep-
penheim aussprach. Aber es schien auch nur so. Friedrich Wilhelm wußte
nichts, er wollte nichts wissen von der radikalen Schärfe der großen
Gegensätze deutscher Politik, er wollte in tiefem Frieden, ohne mit OÖster-
reich zu brechen, sein Ziel erreichen; er ahnte nicht, daß der Zollverein
dem partikularistischen Grundgedanken der Bundesakte ebenso vollständig
widersprach, wie einst der Schmalkaldener Bund dem Wesen des heiligen
römischen Reichs, und die Hofburg folglich ein System preußisch-deutscher
Sonderverträge unmöglich gelassen hinnehmen konnte. Die Schlacht von
Pharsalus, die einst König Friedrich den Deutschen geweissagt hatte, mußte
geschlagen werden, und niemand glaubte an diese Notwendigkeit weniger
als Friedrichs Erbe.
Mit solchen Aufträgen ging Radowitz nach Wien, wo man ihn mit
der gewohnten nichtssagenden Höflichkeit aufnahm. Kaum begonnen wurden
die Verhandlungen schon abgebrochen, da die italienischen Unruhen die
Hofburg in Verlegenheit brachten. Als abgesagter Feind der frideriziani-
schen Politik verabscheute Friedrich Wilhelm den „heidnischen“ Grundsatz
des großen Königs, daß man die Bedrängnis des Gegners zum entscheiden-
den Schlage benutzen müsse; auch hielt er das Haus Osterreich nicht für
einen Gegner, sondern für einen treuen, nur leider etwas schwerfälligen
Freund. Metternichs peinliche Lage zu mißbrauchen, schien ihm unchrist-
lich. Außerdem hatte er Radowitz beauftragt, sich mit dem Staatskanzler
über die gemeinsame Bekämpfung des schweizerischen Radikalismus zu
verständigen; und diesen unseligen Interventionsgedanken hielten beide
Mächte für so wichtig, daß die deutsche Politik dahinter zurückstehen mußte.
Um die Schweizer Frage zuerst ins reine zu bringen, mußte der General
im Dezember nach Berlin heimkehren und nachher noch nach Paris reisen.
So ging für die deutsche Bundesreform wieder eine unschätzbare Zeit
verloren. Erst im Februar 1848 nahm der König seine Bundespläne
wieder auf. Am 1. März erhielt Radowitz die Weisung, nochmals nach
Wien zu gehen und dort die sofortige Einberufung eines deutschen Fürsten-
kongresses zu beantragen, der über die Bundesreform so wie über die
Kriegsgefahr des Augenblicks beraten sollte. Da inzwischen die Nach-
richten von der Pariser Revolution eingetroffen waren, so genehmigte
Metternich am 10. März den preußischen Vorschlag. Aber schon nach
wenigen Tagen stürzte das alte System in Wien wie in Berlin zusammen.
Die letzte Möglichkeit einer friedlichen Bundesreform war versäumt, und
da die Welt von den tiefgeheimen Verhandlungen dieses Winters kein
Wort erfahren hatte, so erschien der längst geplante Fürstenkongreß wieder