704 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution.
sollte, fragte er so wenig wie der englische Hof; ihm genügte die Befürch—
tung, daß ein Koburger in Madrid der französischen Diplomatie vielleicht
lästig werden könnte. Andererseits verlockte ihn die Hoffnung, seiner ge—
raubten Krone durch eine große bourbonische Familienverbindung Glanz
und Herrlichkeit zu verschaffen. Feierlich berief er sich auf den Utrechter
Frieden, kraft dessen nur ein Nachkomme Philipps V. die spanische Krone
tragen durfte, und verlangte die Hand Isabellas für einen Bourbon aus
dem spanischen oder dem neapolitanischen Königshause; die Schwester der
Königin, Luise wünschte er mit seinem jüngsten Sohne, dem Herzog
von Montpensier zu vermählen. Dawider verwahrte sich ebenso ent—
schieden der englische Hof, denn nach dem Utrechter Vertrage hätten alle
Bourbonen, die nicht zum Stamme Philipps V. gehörten, insbesondere
die Orleans jedem Erbanspruche auf die spanische Krone entsagt! Welch
ein Übermaß politischer Heuchelei! Der Utrechter Vertrag war ja längst
in Fetzen gerissen, und durch wen? Durch die beiden Westmächte selbst!
Sie hatten durch ihre Quadrupelallianz das auf dem Utrechter Vertrage
ruhende salische Gesetz vernichtet, das den direkten Nachkommen Philipps V.
ausschließlich die Thronfolge zuerkannte, und nun beriefen sich beide wett-
eifernd auf diesen Vertrag, den sie selber zerstört hatten. Wahrlich,
Metternich hatte guten Grund, über die vollendete Verlogenheit dieser
konstitutionellen Musterhöfe zu spotten.
So lagen die Dinge, als Königin Victoria nach ihrer deutschen Reise
(1845) nochmals in dem gastlichen Schlosse Eu vorsprach. Sie hegte den
weiblichen Wunsch, mit jedermann freundlich zu stehen, und wurde von
dem Bürgerkönige mit väterlicher Zärtlichkeit behandelt. Da ließen sich
denn die Königin und der Prinzgemahl — so gestand Prinz Albert selbst
im tiefsten Vertrauen seinem Bruder dem Herzog Ernst — das unbe-
dachte Versprechen abschmeicheln, daß sie allen ihren Einfluß gebrauchen
würden, um eine Heirat zwischen Isabella und einem Bourbonen zu
stande zu bringen.*) Dafür verhieß Ludwig Philipp, sein Sohn Mont-
pensier solle mit der Infantin Luise erst später Hochzeit halten, nicht eher
als bis Königin Isabella Kinder hätte — offenbar eine ganz sinnlose
Zusage, die nur von neuem bewies, wie wenig diese liberalen Höfe von den
Empfindungen der Völker verstanden; denn das ließ sich doch mit Sicher-
heit erwarten, daß die Spanier, wenn die Ehe ihrer Königin kinderlos
blieb, einstimmig und stürmisch die Verheiratung der jüngeren Schwester
fordern mußten. Beide Teile hielten ihre sonderbaren Versprechungen
unredlich. Prinz Albert hoffte, die bourbonische Heirat würde sich noch
*) Diese Dinge hat erst Herzog Ernst von Koburg (Aus meinem Leben I. 151 f.)
mit deutscher Ehrlichkeit aufgeklärt. Er gesteht, wie begreiflich, nicht die ganze Wahr-
heit; aber er gesteht viel mehr als Stockmar, Bulwer, Martin und andere englisch-kobur-
gische Berichterstatter, und er sagt genug, um unbefangenen Deutschen ein gerechtes Urteil
zu ermöglichen.