Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

708 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. 
In seinem blinden Zorne verfiel Palmerston sogar auf den unge— 
heuerlichen Gedanken, die Ostmächte zur Verteidigung des Utrechter Ver— 
trages, den er selber einst frevelhaft zerrissen hatte, aufzufordern; sie 
sollten gemeinsam mit England erklären, das Haus Montpensier dürfe 
nie die spanische Krone tragen, die sich vielmehr fortan wieder nach dem 
salischen Gesetze im Mannesstamme des neuen Scheinkönigs vererben 
müsse!*) Das salische Gesetz erst unter allen Greueln des Bürgerkrieges 
aufheben und es dann für die unberechtigte Weiberlinie wieder einführen 
— das nannte man im frommen England Recht! Nicht ohne Ironie 
nahmen die Höfe des Ostens diese wundersame Einladung auf. Sie waren 
dem Utrechter Frieden nur allzu treu geblieben und hatten das Thron- 
folgerecht Isabellas noch immer nicht anerkannt. Wenn aber Palmerston 
jetzt behauptete, die spanische Doppelheirat sei das Frechste, was Frank- 
reichs Ländergier seit dem ersten Napoleon je gewagt, so konnten solche 
Übertreibungen doch nur Lächeln erregen; denn der Herzog von Mont- 
pensier war der jüngste von fünf Brüdern, die zum Teil schon Söhne 
besaßen, also lag die Möglichkeit, daß die Kronen Frankreichs und Spa- 
niens jemals auf einem Haupte vereinigt würden, noch ganz außerhalb 
aller menschlichen Berechnung. 
Der Zar, der von jeher die spanischen Wirren gering schätzte, meinte 
hochmütig: dieser Hochzeitszwist biete doch keinen Anlaß, um jetzt die 
illegitime Isabella anzuerkennen, und sein Nesselrode witterte sogleich 
heraus, daß der befremdliche Annäherungsversuch des englischen Hofes 
seinen Grund allein in Palmerstons augenblicklicher Gereiztheit hätte.?) 
Fast noch kühler hielt sich Metternich. Der wollte, wie Canitz bald er- 
riet, in Krakau als Löwe, in Spanien als Lamm auftreten, um den 
Bürgerkönig nur desto fester an sich zu ketten und in Italien wie in der 
Schweiz gemeinsam mit Frankreich zu handeln; er bewahrte also, wie 
er sich selbst rühmte, eine verständig abwartende Haltung.“") 
Etwas bereitwilliger zeigte sich der Berliner Hof, dem der getreue 
Bunsen andächtig berichtete: in Spanien mächtig, würde Frankreich auch 
am Po und am Rhein anmaßend auftreten, so versicherten alle englischen 
Minister.) Die Hoffnung auf die traumhafte englische Allianz war gerade 
jetzt in Berlin sehr lebendig; immer wieder sprach Canitz in seinen Weisun- 
gen von der Erneuerung des alten Vierbundes.#) Der König erklärte sehr 
lebhaft: „Montpensiers Kinder werden Orleans und Montpensiers 
und keine Infanten von Spanien sein; folglich können sie rechtlich 
nie in Spanien folgen;“ er ließ sich sodann noch durch Leopold Ranke 
*) Bunsens Bericht, 26. Okt. 1846. 
**“) Rochows Berichte, 22. Sept., 14. Dez. 1846. 
*"*“) Canitz an Rochow, 6. Dez 1846. 
) Bunsens Bericht, 11. Sept. 1846. 
f) Canitz an Rochow, 6. Dez., an H. v. Arnim in Paris, 13. Dez. 1846. 
  
"1
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.