Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

XXXIII. Graf Christian Bernstorff und Schleswigholstein. 767 
die stationären und retrograden Tendenzen altersschwacher Mächte dem Vaterlande die 
Konvulsionen einer Revolution oder die Schmach einer abermaligen Unterjochung zu 
ersparen — gibt es in Deutschland Patrioten, die der festen Meinung sind, nur durch 
Preußen könne das Vaterland zur Wiedergeburt gelangen, so gehöre gewiß auch ich in 
diese Klasse. Opponieren aber Männer solcher Art gegen Preußen, so kann es nur ge— 
schehen, weil sie der Meinung sind, daß der preußischen Bureaukratie nicht immer jenes 
hohe Ziel vor Augen schwebe und daß der Geist des erleuchteten Herrschers von Preußen 
nicht auch immer der Geist der preußischen Bureaukratie sei. 
Ich weiß sehr wohl daß meine weit mehr auf Erfahrung und Selbstdenken als 
auf blinden Glauben an fremde Theorien gegründeten nationalökonomischen Ideen nicht 
minder als meine amtlose Persönlichkeit gelehrten Pedanten und eingebildeten Bureau- 
kraten von jeher ein Gegenstand des vornehmen Absprechens und der metaphysischen 
Verdammung gewesen sind. Ich weiß aber auch, daß Ew. Majestät vermöge der Ihnen 
angeborenen Genialität von jeher Sich von allen jenen, einer solchen Aburteilung zu 
Grunde liegenden Vorurteilen Ihrer Diener freizuhalten gewußt haben, und bestehe 
deshalb getrost das Wagnis, in einer Sache, die das höchste Wohl des deutschen Vater- 
landes in Frage stellt, von einer befangenen Bureaukratie an die glückliche Geistesfreiheit 
und Geistesstärke Ew. Majestät zu appellieren. 
Ich überlasse mich somit der schmeichelhaften Hoffnung, Ew. Majestät werde die 
Tendenz in Gnaden beurteilen, die meinem Streben zu Grunde liegt, Allerhöchstdieselbe 
werde die Erklärung in Gnaden aufnehmen, daß ich bereit sei, mit Freuden jede Bürde 
zu tragen, die Ew. Königl. Majestät in Ihrer Weisheit und zum Besten des Vaterlandes 
meinen Schultern aufzulasten für gut finden sollte. 
Indem ich mich Ew. Königl. Majestät zu Gnaden empfehle, beharre ich in tiefster 
Ehrfurcht und Untertänigkeit 
Ew. Königl. Majestät 
alleruntertänigster 
London, 31. Juli 1846. F. List. 
  
XXXIII. Graf Christian Bernstorff und Schleswigholstein. 
Zu Bd. V. S. 573. 
Durch das bekannte Werk von Droysen und Samwer über die Herzogtümer Schles- 
wigholstein ist zuerst die Erzählung verbreitet worden, daß Graf Christian Bernstorff 
nach dem Untergange des heiligen Reichs beabsichtigt hätte, Holstein gänzlich in Dänemark 
einzuverleiben, auch das Erbfolgerecht des Königsgesetzes dort einzuführen, und nur 
der Herzog von Augustenburg diesen Plänen siegreich entgegengetreten sei. Dem gegen- 
über habe ich schon im 3. Bande (S. 592 der 3. Aufl.) kurz nachgewiesen, daß Christian 
Bernstorff sich in dieser Krisis durchaus ehrenhaft, als ein Vertreter des guten deutschen 
Rechts gehalten hat. Da jene patriotisch gemeinte Legende aber noch immer, selbst in 
gediegenen historischen Werken wiederholt wird, so halte ich mich verpflichtet hier an 
einige authentische Aktenstücke zu erinnern, welche E. F. Wegener in seinem längst ver- 
schollenen Buche „Beiträge zur Geschichte Dänemarks im 19. Jahrhundert“ (Kopen- 
hagen 1851. I. 332 ff.) mitgeteilt hat. Nachdem Holstein aufgehört hatte, ein deutsches 
Reichslehen zu sein, mußte das staatsrechtliche Verhältnis des Landes durch ein könig- 
liches Patent neu geordnet werden; und die national-dänische Partei am Kopenhagener 
Hofe wollte die Gelegenheit benutzen, um unter der Hand die Erbfolge des Königsge- 
setzes in Holstein einzuführen. Christian Bernstorff aber, der Minister des Auswärtigen, 
schrieb seinem Bruder Joachim (Kiel 26. Aug. 1806):;
	        
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