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v. GERBER!), BROCKHAUS ?), G. MEYER?), ULsricH t) und SEYDEL.®)
Andere erkannten sehr wohl, dass, wenn man hier überhaupt von
Regentschaft sprechen dürfe, das Rechtsverhältniss während dieser
Regierungsverwesung ein ganz eigenartiges sein müsse; in der Kon-
struktion ging man aber sehr weit auseinander. Einig war man fast
allgemein nur darin, dass es nicht anginge, den Embryo hier ohne
Weiteres und für alle Zeit von der Thronfolge auszuschliessen. Man
nahm deshalb zunächst die Grundsätze des Privatrechts über das
Erbrecht des posthumus zu Hülfe.. Da der Ungeborene, so führte
v. MoHL®) aus, bei allen rechtlichen Vortheilen, die ihm zu statten
kommen können, dem Lebendigen gleich behandelt wird, so muss
bei einer Thronerledigung, wie sie hier eintritt, der Embryo schon
als vorhandenes und zwar vorläufig als männliches Kind angenommen
werden, bis die wirklich erfolgte Geburt über sein Leben und sein
Geschlecht Gewissheit giebt. Ist also ein Ungeborener der nächst-
berechtigte oder gar der noch einzig mögliche Thronerbe vom Mannes-
stamme, so muss der Thron ihm „vorläufig offen behalten‘ werden,
vorläufig eine Regentschaft eintreten. Nun liegt aber die Mög-
liehkeit nahe, dass der Embryo todt oder thronfolgeunfähig zur Welt
kommt, dass es sich also z. B. herausstellt, man habe mit Unrecht
die Leibesfrucht als männlich angesehen. Da hilft eine Fiktion; man
nimmt an, es sei die unmittelbare Herrscherfolge niemals unterbrochen,
der Embryo gar nicht vorhanden gewesen, und rechnet den Regie-
rungsantritt des jetzt zunächst Berechtigten bis zum Tode des Vor-
yängers zurück. — In meist wörtlicher Anlehnung an v. MoHL ent-
scheidet v. RÖXNE ‘) die Frage. Auch er beruft sich auf die Grundsätze
des Privatrechts tiber die Behandlung der ungeborenen Leibesfrucht;
er führt sogar ausdrücklich die Bestimmungen des Sachsenspiegels,
des Schwabenspiegels, des römischen Rechts und des preussischen
allgemeinen Landrechts an. Es ist, sagt er, hier einstweilen
zweifelhaft, wer der Nächstberechtigte zur Thronsuccession sei;
die eventuelle Thronfolge muss deshalb dem Ungeborenen offen
behalten, in der Zwischenzeit aber eine Regentschaft eingesetzt
l) Grundzüge des deutschen Staatsrechts S. 104, Note 1.
2) In Holtzendorfis Rechtslexikon s. v. Regentschaft.
3) Lehrbuch des deutschen Staatsrechts S. 227.
4) Lehrbuch des österreichischen Staatsrechts S. 138.
5) Bayrisches Staatsrecht I. S. 455.
6) Staatsrecht des Königreichs Württemberg (2. Aufl. 1840) I. S. 159 f. und
3. 164, Note 4,
1) Staatsrecht der preuss. Monarchie (4. Aufl.) I. S. 171, 181.