Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

ihrem hervorragenden Gedächtnis, an allem teil, was Wohltätigkeit, 
Politik, Erfindungen und wissenschaftliches Leben anlangte, und konnte 
auch in gewisser Weise mit der Zeit mitgehen. Tieferschütternd war 
es zu beobachten, mit welcher inneren Größe sie die schweren Kriegs- 
jahre, die Revolution und die Nachkriegszeit ertrug. Durch ihren Tod 
habe ich unendlich viel verloren. Sie war die Letzte aus der großen 
alten Zeit. 
Ihr Gemahl, Großherzog Friedrich, hat mir nicht weniger nahe 
gestanden. Mit seinem weisen Rat, seiner stärkenden Aufmunterung 
ist er mir stets ein väterlicher Freund gewesen. Daß seine ehrwürdige 
Gestalt bereits 1907 ins Grab sank, hat mich mit großem Schmerz 
erfüllt. 
IV. 
Wenn ich nun des alten Kaisers nächste Umgebung mit kurzen 
Strichen zu zeichnen versuche, so steigen vor meinem geistigen Auge vier 
Gestalten wieder auf, die längst schon ins Grab gesunken sind, aber im 
Gedächtnis leben werden, solange man von Kaiser Wilhelm und seinen 
Getreuen spricht: Albedyll, Lehndorff, Radziwill und Wilmowski. 
General v. Albedyll war der Chef des Militärkabinetts. Seine 
Fähigkeiten für diesen Posten waren hochbedeutend, denn umfang- 
reiches Wissen, untrügliches Gedächtnis, scharfer Verstand und eine 
außerordentliche Arbeitskraft prädestinierten ihn zu seiner verantwort- 
lichen Stellung in der preußischen Armee. Er kannte in der Tat 
die ganze Rangliste auswendig, ihm waren die Lebensläufe nicht nur 
der Offiziere, die setzt im Heere standen, sondern auch von deren 
Bätern geläufig. Die Besetzung der Führerstellen der Armee hatte 
er bei der Mobilmachung 1870 in einer Nacht gemacht. Er besaß 
das uneingeschränkte Vertrauen nicht nur des Kaisers, sondern auch 
meines Vaters. Er ist nach meinem Regierungsantritt noch Kom- 
mandierender General geworden und hat von mir den Schwarzen 
Adlerorden erhalten. 
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