X. Buch. Die soziale Medizin und soziale Hygiene. 271
auch bei anderen Krankheiten ohne Krankheitserscheinungen, so bei Diphtherie und bei
Typhus abdominalis gemacht und hat an die Bekämpfung der Krankheitsübertragung
neue Anforderungen gestellt. Sodann zeigte sich, daß die nach Auftreten der Epidemie ge-
troffenen Maßnahmen gegen die Ubertragung der Krankheit ihre Wirkung nicht ver-
sagten.
Wurden doch im Eppendorfer Krankenhaus viele tausend Cholerakranke Wochen hin-
durch verpflegt, ohne daß eine Ansteckung von Arzten oder Wartepersonal erfolgte. Erst
als nach längerer Dauer der Seuche die Furcht vor Ansteckung und der Gehorsam gegen
die Verordnungen nachließen, kamen vereinzelte Ubertragungen vor, deren Entstehung
sich dann nachweisen ließ. Durch die NMaßnahmen des Reichs gelang es weiterhin eine
größere Ausbreitung der Seuche in Deutschland zu verhindern. Der gleiche Erfolg wurde
im Jahre 1905 erzielt als in Rußland längs der preußischen Grenze die Cholera sich
ausbreitete. Es ist das große Berdienst von Kirchner in diesem und den folgenden Zahren
durch die verschiedensten Maßnahmen, insbesondere auch durch Stromüberwachung der
Weichselgebiete von Schillo an der russischen Grenze bis zur Mündung der Weichsel bei
Neufahrwasser, sowie der anderen gefährdeten Flußgebiete jeden einzelnen Fall
isoliert und so die Weiterverbreitung verhindert zu haben.
Batkteriologische Laboratorien. Die erste Aufgabe besteht naturgemäß in der
sicheren Erkennung der Cholera. Diese ist
keineswegs so einfach, als man nach der ersten Entdeckung Robert Kochs geglaubt
hat. Das gleiche gilt allerbings für alle Seuchenerreger. Ohne besondere Hilfsmittel
und Laboratorien ist es dem praktischen Arzt nicht möglich eine sichere bakteriologische
Diagnose zu stellen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurden zuerst alle größeren Kranken-
anstalten mit entsprechenden bakteriologischen Laboratorien ausgestattet. Aber
in dieser fanden nur die im Krankenhause ausgenommenen Fälle ihre Untersuchung.
Oie gleiche Einrichtung wurde von der Militärverwaltung durch Einrichtung von bakterio-
logischen Untersuchungsstellen in den Garnisonlazaretten getroffen. Für die Krank-
beitsfälle in der Praxis des Arztes mußten aber weitere Einrichtungen getroffen werden.
Das Institut für Infektionskrankheiten in Berlin, welches für N. Koch geschaffen war,
trat zwar bei größeren und gefahrdrohenden Epidemien wie Cholera und Pest ein,
war aber naturgemäß den Riesenaufgaben nicht gewachsen, welche die ganze Monarchie
stellte. Es wurden deshalb teils in größeren Städten, teils an den Universitäten in
Verbindung mit den hygienischen Instituten, teils in besonders gefährdeten Gebieten
Medizinaluntersuchungsämter und bakteriologische Untersuchungsstellen für
bestimmte Aufgaben eingerichtet. Besondere Apparate zur Aufnahme des verdächtigen
Untersuchungematerials (nach der Angabe von Ministerialdirektor Kirchner angefertigt)
werden in jeder Apotheke an die Trzte abgegeben. Auf diese Weise ist die sichere Feststellung
einer bakteriologischen Diagnose jedem Arzt ermöglicht. Er muß nur das für die Diagnose
der Krankheit erforderliche Untersuchungsmaterial in richtiger Weise entnehmen und an
das betreffende Institut einsenden. Das Untersuchungsergebnis wird dem betreffenden
Arzt und nötigenfalls auch dem beamteten Arzt mitgeteilt.
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