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ihm auch zum persönlichen Einschreiten ein gesetzlicher Titel nicht
zu. Mit der Anzeige der vorgefundenen Mängel seitens des
Kaisers an den Bundesrat und der Annahme derselben durch
letzteren zwecks Abhilfe ist jedwede Tätigkeit des Kaisers im
ersten Stadium des Exekutionsverfahrens erschöpft. Erst die Be-
schlußfassung seitens des Bundesrates vermag seine weitere Tätig-
keit zu begründen.
Da der Bundesrat eine unmittelbare Exehution nicht besitzt,
m. a. W. da dem Bundesrate als solchem in der Reichsverfassung
nirgends das Recht beigelegt worden ist, seine Beschlüsse selbst zu ver-
künden oder gar zur Ausführung zu bringen, so bedarf jeder Be-
schluß des Bundesrates zu seiner Realisierung einer speziellen Tätigkeit,
sei es des Kaisers als Inhabers des Bundespräsidiums oder doch
des Reichshanzlers als des höchsten Exekutiv-Beamten des Reiches.#9
Da wir es hier mit einem derjenigen Fälle zu tun haben, wo eine
die Verkündung anordnende Verfügung des Kaisers nach der Reichs-
verfassung nicht erforderlich ist, so bedarf es jedenfalls der Ver-
kündung des Exehutionsbeschlusses durch den Reichskanzler.) JIst
also ein Exehutionsbeschluß gefaßt, so Kkann der Reichskanzler als Organ
des Bundesrates sich seiner Pflicht zur Hinüberleitung an den Kaiser
und zur Sorge für dessen Verkündung und Ausführung nicht mehr
entschlagen. Ein Prüfungsrecht des Beschlusses steht ihm nur insoweit
zu, als der Beschluß verfassungs= und geschäftsordnungsgemäß gefaßt
worden ist. Findet der Reichskanzler, daß alle verfassungsmäßigen
Bedingungen erfüllt sind, so ist er verpflichtet zur Verkündung; er-
gibt sich aber bei der Prüfung das Gegenteil, so ist er ebenso be-
rechtigt wie verpflichtet, den Beschluß unverkündet zu lassen.
Ueber die Form und den Ort einer solchen Verkündung hat
die Verfassung keine Normen gegeben.
Es müssen also Anordnungen des Reichskanzlers nach dieser
Seite hin in sein Belieben gestellt werden mit der natürlichen Ein-
schränkung, daß nur die Blätter, in welchen sonst Reichskundgebungen
erfolgen, seiner Wahl freistehen.
Die gegenwärtige Fassung des Art. 19, die von dem Wortlaute
des gleichen Artikels in der norddeutschen Verfassung sich wesentlich
unterscheidet, findet sich zuerst in der mit Baden und Hessen verein-
barten Verfassung des deutschen Bundes im Jahre 1870. An die
Verschiedenheit der beiden Artikel in den verwandten Verfassungen
haben sich Streitfragen gehnüpft, welche die Abgrenzung der kaiser-
lichen Befugnisse im Vollzuge des Exekutionsbeschlusses gegenüber dem
Bundesrate zum Gegenstande haben. Die dem Bundezfeldherrn in
der norddeutschen Bundesverfassung eingeräumte selbständige von einem
1) Gleiche Ansicht Meyer S. 596.
Laband lI H. 195.
2) Rönne S. 299, Anm. 1.