50 II. Abschnitt. Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate. §8 7.
d) Wenn der um die Aufnahme nachsuchenden Person inner-
halb der letzten 12 Monate wegen wiederholten Bettelns oder
wegen wiederholter Landstreicherei der Aufenthalt in einem
Bundesstaate versagt worden ist (5 8 Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes).
Der Abs. 2 des § 8 des Freizügigkeitsgesetzes lautet:
„Solchen Personen, welche derartigen Aufenthaltsbeschränkungen in
einem Bundesstaate unterliegen, oder welche in einem Bundesstaate inner-
halb der letzten 12 Monate wegen wiederholten Bettelns oder wegen
wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, kann der Aufenthalt in
iedem anderen Bundesstaate von der Landespolizeibehörde verweigert
werden.“
Die unbestimmte Fassung dieses Paragraphen hat sowohl in der Theorie
wie in der von den Landesregierungen geübten Verwaltungspraxis zu ver-
schiedenartiger Interpretation Anlaß gegeben. Es ist dies auch nicht wunderbar.
Die Worte „in jedem andern Bundesstaate“ ließen bloß die Deutung zu, wie
dies auch in den Motiven zu dem Freizügigkeitsgesetz gesagt ist, daß das wegen
wiederholten Bettelns oder Landstreichens bestrafte Individuum mit Ausnahme
des Bundesstaates, in dem die Bestrafung erfolgt ist, aus jedem anderen Bundes-
staate ausgewiesen werden dürfe. In der Theorie war man sogar lange Zeit
der Ansicht, daß die Ausweisung eines derartig Bestraften sogar aus dessen
Heimatstaate erfolgen könne. Laband, der anfangs auch dieser Ansicht huldigte,
hat sie in späteren Auflagen seines Werkes (Staatsrecht des Deutschen Reichs)
aufgegeben. In betreff dieses Punktes ist anfangs der achtziger Jahre bei den
Bundesregierungen eine Einigung dahin erzielt worden, daß der in einem
Bundesstaate Bestrafte bei etwaiger Rückkehr in seinen Heimatsstaat aus diesem
nicht ausgewiesen werden dürfe.
Das Reichsamt des Innern versuchte dann durch ein Schreiben an die
Bundesregierungen vom 19. Juli 1888, ob nicht auch eine einheitliche Aus-
legung darüber erzielt werden könnte, daß die Ausweisung des bestraften Indi-
viduums aus dem Bundesstaate, in dem die Bestrafung stattgefunden hat, unter
keinen Umständen innerhalb der zwölfmonatigen Frist erfolgen dürfe. Dieses
Schreiben blieb ergebnislos.
Preußen stellte darauf im Jahre 1885 den Antrag im Bundesrate, daß
der Bestimmung des zweiten Absatzes des § 3 des Freizügigkeitsgesetzes die in
dem vorgedachten Schreiben enthaltene Auslegung und Anwendung gegeben
werde. Nachdem eine Einigung über den Antrag im Bundesrate nicht erzielt
worden war, legte Preußen im Juli 1892 seinen Antrag in folgender abgeänder-
ter Fassung vor:
„Reichsangehörigen, welche im Inlande Aufenthaltsbeschränkungen
der in Abs. 1 des § 3 a. a. O. bezeichneten Art unterliegen oder innerhalb der
letzten zwölf Monate wegen wiederholten Bettelns oder wiederholter Land-
streicherei bestraft worden sind, kann der Aufenthalt in einem Bundesstaate
nur verweigert werden, wenn sie in diesem Staate weder die Staatsangehörig-
keit noch einen Unterstützungswohnsitz (Heimatrecht) besitzen und die Auf-
enthaltsbeschränkung oder die Bestrafung wegen wiederholten Bettelns oder
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