Full text: Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.

Erwerb für einen Deutschen durch Aufnahme. 8 7. 53 
Luch bei Schaffung des vorliegenden Gesetzes hat eine dahin zielende Anderung 
nicht stattgefunden. Der Verfasser kann sich allerdings nicht verhehlen, daß 
gegen den preußischen Antrag, wonach über den Bettler oder Landstreicher 
eine Ausweisung aus dem Staat nicht verfügt werden darf, in welchem er 
zuletzt bestraft worden ist, insofern Bedenken obwalten, als ein solches Indivi- 
duum es vollständig in seiner Macht hat, durch abermaliges Betteln oder Land- 
streichen seinen künftigen Aufenthaltsort für 12 Monate frei zu bestimmen. 
Durch die süddeutsche Auslegung wird einer derartigen Aufenthaltswahl ein 
Riegel vorgeschoben, indem ein solches Individuum sofort nach Verbüßung 
der Strafe nach seinem Heimatstaate abgeschoben werden kann. 
e) Wenn der um die Aufnahme Nachsuchende nicht hinreichende 
Kräfte") besitzt, um sich und seinen nicht arbeitsfähigen"") An- 
gehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen und 
solchen weder aus eigenem Vermögen bestreiten, noch von einem 
*) Da nach dem § 4 Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes die Besorgnis vor 
künftiger Verarmung den Gemeindevorstand zur Zurückweisung neu an- 
ziehender Personen nicht berechtigt, so werden die Kräfte einer neu anziehenden 
Person als hinreichend und bei deren Erwerbsunfähigkeit das eigene Vermögen 
oder die Unterstützung seitens der alimentationspflichtigen Verwandten als 
genügend zu erachten sein, wenn Arbeitskräfte, eigenes Vermögen oder 
Unterstützung seitens der Verwandten für die nächste Zeit zur Be- 
streitung des notdürftigen Lebensunterhalts, also derjenigen Ausgaben, welche 
für Obdach, Ernährung und Pflege in Krankheitsfällen (§ 1 Abs. 1 
des preuß. Ausführungsges. vom 8. März 1871) erforderlich sind, genügen. 
Sache der höheren Verwaltungsbehörden ist es, der ausschließlichen Geltend- 
machung des fiskalischen Interesses seitens der Gemeindeverwaltung bei Ab- 
weisung neu anziehender Personen entgegenzuwirken; dahin zielen auch ver- 
schiedene Verfügungen des kgl. preuß. Ministers des Innern; dieselben beziehen 
sich zwar zumeist auf das preußische Gesetz über die Aufnahme neu anziehender 
Personen vom 31. Dez. 1842 (GS. 1843 S. 5 ff.), sie haben aber gegenwärtig 
noch Geltung, da die wesentlichen Bestimmungen des gedachten preußischen 
Gesetzes sich in dem Freizügigkeitsgesetze wiederfinden. Nach diesen Verfügungen 
vom 30. April 1845 und vom 31. Aug. 1869 (Ml. S. 119 bzw. 267) sollen 
die Gemeinden nicht befugt sein, einen neu Angezogenen, welcher z. B. nicht 
hinreichende Mittel besitzt, um für seine Kinder das Schulgeld zu bezahlen oder 
mit der Berichtigung öffentlicher Abgaben oder Gemeindesteuern im Rückstand 
bleibt, abzuweisen, „da die Unfähigkeit, der aus dem öffentlichen Rechte ent- 
springenden Verpflichtung zur Zahlung einer Geldsumme zu genügen, als ein 
Mangel an dem notwendigsten Lebensbedürfnisse nicht aufgefaßt werden kann“. 
Auch kann die Aufnahme einer Person um deswillen nicht versagt werden, 
weil ihr die moralische Kraft nicht zuzutrauen ist, von ihren physischen Kräften 
Gebrauch zu machen, oder weil sie der Trunksucht ergeben ist (vgl. Erlaß des 
preuß. Min. d. J. vom 9. Juli 1843 und 25. Febr. 1860, Ml. S. 216 bzw. 70), 
oder Unterstützung aus Staatsfonds — nicht aber aus öffentlichen Armen- 
mitteln — empfängt (Erlaß des preuß. Min. d. J. vom 16. Febr. 1859). 
**)Hinsichtlich der armenrechtlichen Familiengemeinschaft sind im Zentralbl. 
f. d. Deutsche Reich 1883 S. 87 die Grundsätze des Bundesamts für das Heimats- 
wesen veröffentlicht worden. · 
Nach dem Grundsatze I gehören zur Familie im armenrechtlichen Sinne 
alle diejenigen, welche an den Unterstützungswohnsitzverhältnissen des Familien- 
hauptes teilnehmen, mag letzteres einen Unterstützungswohnsitz haben oder land- 
8 7. 
 
	        
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