Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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93. 
Die königliche Familie in den Jahren des Unglücks 1807 und 1808. 
Quelle: Oberhofmeisterin Gräfin Sophie Marie von Voß, Neunund- 
sechzig Jahre am preußischen Hofe. 1745—1814. Leipzig 1876. S. 267 ff. 
1. Januar 1807. So hat Gottes Gnade mich denn noch dies Jahr erleben 
lassen. Ach! seit dem Monat Oktober haben uns nun Unheil und Schrecknisse 
aller Art verfolgt. — Gott wolle sich unser erbarmen und die Feinde ver- 
nichten, die unser armes Land verheeren.. Man fürchtet für Lestocqt): er hat 
nur wenig Truppen, und die Feinde sollen ihn angegriffen haben. 
Der König ist sehr besorgt, die arme Königin ist es auch, was sie sehr an- 
greift und ihr sehr schadet. 
2. Januar. Die Königin ist etwas besser. Sehr unerfreuliche Nachrichten; 
General Lestocq hat viel Leute verloren und sich zurückziehen müssen. 
Die königlichen Kinder reisen morgen nach Memel, und wir gehen nach, 
sobald es irgend gett 
5. Januar. Ich reiste mit meinen Kammerfrauen bei einem entsetzlichen Wetter 
ab. Bei der ersten Station mußte ich liegen bleiben. Sturm und Regen waren 
so toll, daß die Pferde nicht weiter konnten. Die Königin reiste um 12 Uhr 
mittags ab mit der Viereck und ihrer Kammerfrau, der Schadow, und kam glücklich 
bis Kreuz. 
Man sagt uns, die Franzosen seien schon bei Heilsberg. 
7. Januar. Es war ein toller Sturm, und der Weg dicht am Meere, ohne 
seden Schutz gegen den Orkan, war überdies ganz abscheulich. Um 3 Uhr kam ich 
nach Schwart, wo ich nach vieler Mühe und langem Umherfahren endlich ein be- 
scheidenes Unterkommen beim Schullehrer fand. Die Herrschaften kamen bald 
darauf auch an; die Königin war trotz der großen Kälte gottlob ziemlich wohl. 
8. Januar. Ich hatte auf der Erde geschlafen, da kein Bett zu haben war, 
aber ich schlief doch ganz gut. Der König fuhr früh weiter; ich konnte erst um 
8 Uhr Pferde bekommen. Um 11 Uhr kamen wir am Haff an, stiegen in ein 
Boot und waren um 1 Uhr in Memel. Die Königin kam ganz zu Wagen und 
deshalb etwas später. Da kein Sessel da war, um sie aus dem Wagen die Treppe 
hinauf zu tragen, so trug sie ein Bedienter auf dem Arm, was mir weh tat mit 
anzusehen ... Die Minister Stein und Voß sind beide entlassen; Gott weiß, was 
hicraus werden soll. 
30. Januar. Ich fuhr mit der Königin spazieren. Es geht ihr leidlich, und 
wie liebenswürdig ist sie! Sie ist ein Engel, aber ach! sie ist unaussprechlich 
traurig und unglücklich; Gott allein weiß, was sie leidet 
10. Februar. Am 7. und 8. ist denn wirklich eine sehr blutige Sch'acht ge- 
wesen in der Nähe von Eylau, aber die Russen haben sich wieder zurückziehen 
müssen; es heißt allerdings geordnet und ohne Niederlage. Ein Offizier brachte 
die Nachricht und sagte, die Franzosen hätten 12 000 Mann verloren und die 
Russen nur 8000. Die alliierte Armee hat Wunder der Tapferkeit getan und zwölf 
Adler genommen. Abends kam ein zweiter Offizier, der diese Adler nach Peters- 
1) Tapfer hatte das kleine preußische Heer unter Lestocq wochenlang die Weichsel- 
übergänge im Kulmerlande verteidigt: dann rettete es durch sein Eingreifen am 8. Febr. 
die am 7. von Napoleon bei Preußisch-Eylau angegriffenen Russen und brachte Napoleon 
zum ersten Male um den Sieg.
	        
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