II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 139
sicherungsamts — in erster Reihe den Berufsgenossenschaften als denjenigen
Organen ob, welche den aus einer mangelhaften Unfallverhütung entstehenden
finanziellen Schaden zu tragen haben. (Diese letztere Regelung hatte Fürst
Bismarck schon lange Zeit, ehe die Unfallversicherung ins Leben trat, befür-
wortet; vgl. v. Poschinger Aktenstücke Bd. 1 S. 266.)
Die Alters= und Invalidenversicherung wurde ursprünglich geregelt
durch das Reichsgesetz v. 22. Juni 1889 R.G. Bl. S. 97. Jetzt ist maß-
gebend das Invalidenversicherungsgesetz v. 18. Juli 1899 R. G. Bl. S. 393
(neue Bekanntmachung S. 4683). Der Versicherung sind zwangsweise unter-
worfen: alle Personen, die als Arbeiter, Gehülfen, Gesellen, Lehrlinge oder
Dienstboten gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt werden, ferner mehrere
Kategorien von Angestellten höherer Art, deren regelmäßiger Jahresarbeits-
verdienst 2000 4 nicht übersteigt; endlich kann durch Beschluß des Bundes-
rats die Versicherungspflicht auf die Unternehmer kleiner Gewerbebetriebe
ausgedehnt werden. Gegenstand der Versicherung ist der Anspruch auf
Gewährung einer Rente für den Fall der Erwerbsunfähigkeit oder des Alters.
Altersrente erhält ohne Rücksicht auf das Vorhandensein von Erwerbs-
unfähigkeit derjenige Versicherte, der das 70. Lebensjahr vollendet hat.
Invalidenrente erhält ohne Rücksicht auf das Lebensalter derjenige Ver-
ficherte, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Alter, Krankheit oder anderen
Gebrechen dauernd auf weniger als ein Drittel herabgesetzt ist. Eine ge-
wisse Wartezeit ist Voraussetzung der Rentengewährung. Die Kosten der
Versicherung werden durch Beiträge aufgebracht, welche die Arbeitgeber und
die Versicherten zu gleichen Teilen leisten sowie dadurch, daß das Reich zu
den in jedem Jahre tatsächlich zu zahlenden Renten einen festen Zuschuß
gewährt, der für jede Rente 50 4 beträgt. Zur Durchführung der Ver-
sicherung sind Verficherungsanstalten für größere Bezirke gebildet. Ihre
Geschäfte werden durch einen Vorstand verwaltet. Der Vorstand besteht
aus einem oder mehreren Beamten des weiteren Kommunalverbandes oder
Bundesstaats, für den die Versficherungsanstalt errichtet ist. Die Arbeitgeber
und die Verficherten haben in den anderen Organen der Versicherungsanstalt
(Ausschuß und Rentenstellen) eine gleiche Anzahl von Vertretern. Die
Versicherungsanstalten unterliegen der Beauffichtigung durch das Reichs-
Verficherungsamt. Die Entscheidungen dieser Behörde sind endgültig, doch
erstreckt sich das Auffichtsrecht nur auf die Befolgung der gesetzlichen und
statutarischen Vorschriften. Über den Rentenanspruch entscheidet an erster
Stelle der Vorstand der Versicherungsanstalt. Gegen dessen Bescheid steht
den Versicherten die Berufung an das Arbeiter-Schiedsgericht, und gegen
dessen Entscheidung den Versicherten und dem Vorstand der Versicherungs-
anstalt die Revision zu, über die das Reichs-Versicherungsamt endgültig
entscheidet.
In Vorbereitung ist eine Reform der Arbeiterversicherung, mit dem
Ziel, den Kreis derjenigen Personen, die gegen Krankheit und Invalidität
zu versichern find, nach einheitlichen Gesichtspunkten zu bestimmen, und
insbesondere die Krankenversicherung auf die land= und forstwirtschaftlichen
Arbeiter sowie auf die Hausgewerbetreibenden auszudehnen, und durch die
Einrichtung einer als Organ für alle Zweige der Arbeiterversicherung ein-
heitlich fungierenden Lokalbehörde, die mit Beisitzern aus den Kreisen der
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu besetzen ist, eine Entlastung des Reichs-