Full text: Der neue Kurs.

gesetzes im Oktober 1890 beschränkte er sich darauf, in den Ham- 
burger Nachrichten seine Haltung im Kronrat vom 24. Januar 
rechtfertigen und wiederholen zu lassen, daß er ein abgemildertes 
Sozialistengesetz erst dann angenommen hätte, wenn ein endgültiger 
Beschluß des Reichstags für den nationalliberalen Antrag zustande 
gekommen, der Reichstagsmehrheit also auch allein die Verant- 
wortung zugefallen wäre. 
War nun auch die Verschiedenheit der Anschauung, wie sie 
im Kronrat vom 24. Januar in bezug auf die Sozialreform hervor- 
trat, die für Ausgang der Krisis wichtigste, so war sie doch nicht 
die erste tiefe Verstimmung zwischen dem jungen, sich zu einer 
glänzenden Zukunft berufen fühlenden Kaiser und dem alten Kanzler 
mit einer unvergleichlich großen Vergangenheit. Vorangegangen 
war ihr unter anderem der Zwist auf der Rückfahrt nach der Ver- 
abschiedung des Zaren im Oktober 1889. Der Kaiser lud den 
Fürsten zu sich in seinen Wagen ein und teilte ihm mit, daß er 
mit dem JZaren einen zweiten Besuch in Petersburg während der 
russischen Manöver verabredet habe. Der Kanzler mißbilligte diesen 
ohne seinen Rat unternommenen Schritt als zu weit entgegen- 
kommend und zweifelhaft im Erfolg. Indessen ebenso wie man 
nicht einzelne Symptome mit dem Wesen der Krankheit verwechseln 
soll, so darf man auch die Bismarck-Krisis nicht aus einzelnen 
Vorkommnissen wie eben dieser in Groll endigenden Fahrt oder 
dem vom Kaiser getadelten Empfang Windthorsis oder den Diffe- 
renzen über die Kabinettsorder von 1852 erklären wollen. Ein 
solches einzelnes Vorkommnis war auch der in dem Entlassungs- 
gesuch des Fürsten erwähnte Vorwurf des Kaisers, daß ihm Be- 
richte des Konsuls in Kiew über Anzeichen von russischen Kriegs- 
vorbereitungen nur lückenhaft vorgelegt worden seien. Zum Teil 
hatten sich auch diese symptomatischen Erscheinungen erst im März 
gezeigt, während die erste Anfrage an den General v. Caprivi, ob 
er bereit sei, den Kanzlerposten zu übernehmen, schon im Februar 
1890 ergangen war. 
Am letzten Ende war die Trennung tief in den Charakteren, 
Machtansprüchen, Altersunterschieden und Erfahrungen begründet,
	        
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