Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

442 Ernst Rabel. 
loren haben. Bloß macht sich, wer fremden Boden eigenmächtig betritt, also z. B. nicht der 
Pächter, mit den Eigentums-, Besitz-- und Ehwerletzungsklagen haftbar. 
s# 41. Eigentumsänderung durch Sachänderung. Geht eine Sache unter, so erlischt 
das Eigentum daran. Ebenso müssen andere körperliche Veränderungen der Sachen ganz 
von selbst (iure naturali) auf das Schicksal der Sachenrechte wirken; die einschlägigen Be- 
obachtungen, an die sich zahlreiche rechtspolitische Zweifel anknüpfen, sind erst in der Moderne 
getrennte Lehren geworden. 
1. Das einfachste Ereignis ist die Erweiterung der Sache und damit zugleich der Sach- 
herrschaft durch Zuwachs (accessio). Hierzu ist erforderlich, daß die hinzukommende Sache 
sich als Nebensache darstellt und das Anwachsen innig genug erfolgt, um ihre Individualität 
zu zerstören. Der Erdboden ist immer Hauptsache (superkicies solo cedit), er ergreift alles 
fest mit ihm Verbundene, die Bauten (inaecüificatio), die Pflanzen, sobald sie Wurzeln schlagen 
(implantatio) und Saatkörner, sobald sie keimen (satio); sofern das Grundstück nicht durch 
Limitation ein für allemal begrenzt ist, auch das allmählich angelandete Erdreich (alluvio) und 
das „verlandete“, d. i. angeschwemmte und organisch angewachsene Stück Boden (avulsio), 
das vom Fluß verlassene Uferland (alveus derelictus) und die freiwerdende Flußinsel (insula 
in flumine nata). 
Entsprechend absorbiert die bewegliche Hauptsache die hinzukommende Nebensache, die 
Statue den neu angekitteten Arm, der Becher den neuen Henkel, der Leuchter den Zierat, 
das Schiff den Balken (Paul. D. 6, 1, 23, 2; 41, 1, 26 pr.). Die Schrift folgt dem Papier 
(scriptura), logischerweise auch die Malerei der Tafel (Gai. 2, 78, Paul. D. 6, 1, 23, 3), aber 
nach herrschender Klassikerlehre gilt wegen des höheren Werts ½ die Malerei als die Hauptsache. 
Nur scheinen sich betreffs der endgültigen Folgen dieser Ereignisse verschiedene Meinungen zu 
bekämpfen, die von den Kompilatoren in wenig durchsichtiger Weise überarbeitet werden. 
Nach Paulus D. 6, 1, 23, 88 2, 5 scheint m. E. grundsätzlich stets das Eigentum an den Neben- 
sachen zu erlöschen, aber die persönliche Actio ad exhibendum dem gewesenen Eigentümer 
die verlorene Sache oder ihren Wert wieder zu verschaffen 2. 
Auf alle Fälle gerät die römische Akzessionslehre in einen Widerspruch mit der alten 
Regelung des tignum junctum. Die Zwölftafeln (VI, 7) und ihre Interpretation verbieten 
nämlich aus volkswirtschaftlichen Gründen, die Trennung des eingebauten Balkens und der 
diesem gleich behandelten Baumaterialien zu verlangen s; sobald der Balken ohnedies wieder 
frei ist, steht seiner Vindikation nichts im Wege (Gai. D. 41, 1, 7, 10 usw.). Nachdem ein- 
mal die Juristen auf die Frage nach dem Eigen tum verfallen sind, würde man eine solche 
Lösung nicht mehr erfinden, daraus erklärt sich auch ein etwas unsicherer Sprachgebrauch für 
das ruhende oder wieder auflebende Eigentum (Gai. 1. c. gegen C. 3, 32, 2, 1 u. a.). Der 
praktische Gegensatz zu dem sonstigen Zuwachs, z. B. „dem Stein im Ring“, beschränkt sich, 
abgesehen von dem abnormen Fall der Demolierung des Hauses darauf, daß hier die Actio 
ad exhibendum wegfällt (Paul. D. 10, 4, 6); und dies macht keinen tieferen theoretischen Ein- 
schnitt aus, da in beiden Fällen die Spätklassiker keinen abgesonderten Besitz des einen oder 
1 Paul. a. a. O. u. Just. J. 2, 1, 3t. Sokolowski, Philosophie 1, 168 denkt an 
philosophische Ibeenô; Bonfante, Ist. 245 N. 1, an die Prokulianische Spezifikationstheorie, 
aber die „quidam“ bei Gai. 2, 78 sind eher die Sabinianer (Kübler in Realenz., Rechtsschulen, 
S. A. 6). 
2 Ich halte nämlich in 1. 23 für itp.: § 4; u. in §& 5 die Worte et tund vindicentur und, wie 
fast allseits anerkannt (Kiccobono, Bull. 18, 209) ideoque — est, und glaube eher, daß 
Cassius über die ferruminatio ebenso dachte, wie Paulus über die ganzen Akzessionen, was Trib. 
verdrehte. Doch läßt sich dies hier nicht nachweisen. Die herrschende Meinung lautet völlig anders, 
vgl. Girar d, Manuel 328; dazu über textura Arno, Mél. Girard 1, 27. 
Auch bei unredlichem Einbau, der ursprünglich Prae gemeint war, so noch C. 3, 32, 2 
a. 213. Dagegen itp. D. 6, 1, 23, 6 wie bekannt, und D. 41, 1, 7, 12 = J. 2, 1, 30. Über die 
Ersaßllage Ao. de tigno juncto besteht viel Meinungsverschiedenheit. FPernice, Labeo 2, 
317; Eohlars, Grünhuts Z. 21, 854 Ricoobono, Arch. giur. 53, 521; 54, 265; 
Vennsr Ed. s 131; Pampaloni, Arch. giur. 30 u. 31, Bull. 21, 2056; Sokolowski, 
Philos. 1, 131. Lenel, Ed. 320 (Dag. Riccobono, Bull. 20, 50.
	        
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