Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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allen Dingen die Söhne des Mulagussi.!) Auf 
sie wird die Begabung für den Beruf des Vaters 
vererbt, wenn es auch zur Betätigung desselben 
noch eines Anstoßes bedarf. Dieser besteht ge- 
wöhnlich in einer göttlichen Traum-Offenbarung 
zur Zeit der Pubertät. Ahnlich kann aber auch 
Nichtsöhnen, z. B. den Gehilfen des Mulagussi, 
ihr Beruf klar werden, wenn sie besonders ge- 
eignet oder vielleicht schlau genug find, ihren 
Landsleuten die göttliche Inspiration glaubhaft 
zu machen. Häufig kommen wohl hysterisch ver- 
anlagte Personen in Frage; so erzählte mir ein 
Eingeborener, er habe beim Eintritt seiner Mann- 
barkeit geträumt, es kämen viele Männer auf ihn 
los, welche ihn griffen und schlugen, danach sei 
ihm die Dawa#r#) erschienen. Die meisten meiner 
Gewährsleute äußerten allerdings keine näheren 
Einzelheiten; sie begnügten sich mit der Angabe, 
der Muungus) habe ihnen im Traum die Dawa 
gezeigt. Stets aber haben die dergestalt zur Be- 
handlung der leidenden Menschheit qualifizierten 
Anwärter eine lange Gehilfenzeit bei einem zünf- 
tigen Mulagussi hinter sich und bringen eine 
Menge von Kenntnissen in die Praxis mit. Der 
Zulauf richtet sich nach den Fähigkeiten und dem 
Rufe des jungen Arztes. Die Besorgung der 
Medikamente und Drogen, die Zusammenstellung 
der Apotheke ist seine Sache, wie er auch in jedem 
Einzelfalle selbst die für seinen Patienten geeignete 
Arznei sucht. 
Die Betätigung des Arztes ist meist eine all- 
seitige; Spezialisten gibt es nur auf dem Gebiete 
der Bekämpfung von Impotenz und Sterilität, 
für deren Beseitigung eine Menge Heilmittel 
vorhanden sind. 
In Uhehe herrschen die gleichen Krankheiten, 
wie sonst in Deutsch-Ostafrika; häufiger find ent- 
zündliche Erkrankungen während der stürmischen, 
kalten Jahreszeit, außerdem kommt ein endemischer 
Pestherd hinzu. 
Als Erreger und Verbreiter fieberhafter Krank- 
heiten sind den Wahehe nur die Zecken bekannt. 
Die Annahme der Fieberübertragung durch Stech- 
mücken habe ich nirgends finden können. Ge- 
fürchtet sind wegen ihres Stiches oder Bisses 
(außer Schlangen) Skorpione, Spinnen und Hun- 
dertfuß. Den in die Haut eingedrungenen Sand- 
floh entfernen die Eingeborenen mit zugespitzten 
Hölzchen. Als Vorbeugungsmittel gegen Insekten- 
stiche wird die Haut mit einer bestimmten Salbe 
oder einer Wurzelabkochung eingerieben. 
Allgemeine hygienische Maßnahmen gegen 
Seuchen waren den Wahehe seit langer Zeit be- 
1) Arz t und Zauberer. 
# %6 Suaheli-Wort für das Mugoda der Wahehe- 
Sbragte * Zauber, Medizin im weitesten Sinne. 
  
kannt. So wurden z. B. Pockenkranke isoliert 
und ganze Dörfer abgesperrt, oder bei Ausbruch 
einer Epidemie mußten alle Leute, ob gesund oder 
krank, eine besondere Schutzmedizin einnehmen. 
Die gleichfalls geübte Isolierung der Pestkranken 
und ihrer Angehörigen in Strohhütten auf freiem 
Felde scheint von Europäern eingeführt zu sein. 
Wenn jemand erkrankt, so geht entweder er 
selbst oder es geht ein Freund, ein Verwandter 
zum Mulagussi, um von diesem ein Heilmittel zu 
holen. Häufig wird auch der Kranke von seinen 
Angehörigen dorthin getragen. Der Fall, daß 
der Arzt den Kranken besucht, scheint nicht vor- 
zukommen. 
Die Diagnose stellt der Mulagussi nur auf 
Grund seiner besseren Erfahrung durch Besichtigung 
und Betastung. Technische Hilfsmittel zur Diagnostik 
besitzt er nicht. Wichtig ist für ihn auch weniger 
die richtige Diagnose, als das richtige Medikament. 
Wenn er sich nicht sofort darüber im Klaren ist, 
so schwingt er seine hölzerne Handglocke, das 
Mtulambungu, 1) und hört aus dessen Tönen die 
passende, gute Medizin heraus. Niemals wird 
so die Krankheit festgestellt, sondern nur die 
Ursache und das Heilmittel 
Die Therapie ist in bezug auf chirurgische 
Maßnahmen hinter der medikamentösen erheblich 
zurückgeblieben, was vielleicht auf den Einfluß 
des Sultans Kwawa zurückzuführen ist, welcher 
nach Nigmann blutige Eingriffe verboten haben 
soll.) 
Die Blutstillung erfolgt durch Aufstreuen oder 
Einreiben von blutstillenden Medikamenten, meist 
heißer Pflanzenasche. In einem Falle von Zer- 
reißung der Schenkelschlagader nach Schußverletzung 
war allerdings das Bein oberhalb und unterhalb 
fest mit Bast verschnürt und so die Blutung ge- 
stillt. Kleinere Wunden jeder Art werden sonst 
mit Pflanzenasche, zerstampften Blättern oder ge- 
kauten Pflanzenteilen bedeckt. 
Blutentziehung wird bei vielen Krankheiten 
angewandt. Sie geschieht entweder durch zahl- 
reiche kleine Impfstiche oder -schnitte oder durch 
Schröpfen. Der Schröpfkopf, bestehend aus einem 
kleinen Horn mit bis zur Lichtung abgeschnittener 
1) Eine Zauberglocke: hölzernes, einer beiderseits 
offenen, plattgedrückten Sanduhr ähnliches Instrument, 
in welchem mehrere kleine Stäbchen oder Klöppel aus 
hartem Holg befestigt sind, die beim Schwingen (durch 
ruckweise, rhythmische Bewegungen der Armeh die Glocke 
ertönen classen 
?!) Das schirurgische Besteck“ des Mulagussi enthält 
außer dem Schröpfkopf nur ein kleines mit abgerun- 
detem, geschärftem Ende versehenes Impfmesser (Kilem- 
bero) und eine Art Pinzette zum Entfernen von Dornen 
(Nyasole). Beide Justrumente fertigt der eingeborene 
Schmied. Eine H Hühnerfeder und ein Schneckenhaus 
mit abgebrochener Spitze (als Trichter) vervollständigen 
die Ausrüstung-
	        
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