Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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den Portugiesen, was wohl daher kommt, daß die 
Portugiesen schon viel Mischblut von Tropen- 
völkern in ihren Adern haben. Einen inter- 
essanten Vergleich stellt Bertillon an, er be- 
richtet, daß im Jahre 1855/56 in Algier die 
Spanier aufzuweisen hatten 46 Geburten und 
30 Todesfälle, die Italiener 59 Geburten und 
48 Todesfälle, die Franzosen 41 Geburten und 
43 Todesfälle, die Deutschen 31 Geburten und 
56 Todesfälle, also beträgt der Zuwachs be- 
ziehungsweise die Abnahme bei den Spaniern 
—+ 16, bei den Italienern + 11, bei den Fran- 
zosen — 2 und bei den Deutschen — 25. 
Hierzu bemerkt noch Havelburg: Nach wie vor 
geht die Kolonisation Deutscher bzw. Elsaß- 
Lothringer nicht vorwärts; sie zeigen die größte 
Sterblichkeit, früher 55, jetzt 39 Todesfälle auf 
1000 Einwohner gegen 32 Geburten. Ich glaube, 
daß diese Statistik vielleicht nicht ganz so be- 
deutungsvoll ist, wie sie auf den ersten Augen- 
blick erscheint, weil die deutschen Ansiedler in 
Algier beinahe ausschließlich aus früheren Fremden- 
legionären sich zusammensetzen, welche in einem 
vorausgegangenen Abenteurerleben schon ein gut 
Teil ihrer Lebenskraft aufgezehrt haben. Immer= 
hin wird auch sonst berichtet, daß die Nord- 
länder sich in den Tropen schwerer akklimatifieren 
als die Südeuropäer, was ja auch wohl be- 
greiflich ist, da die Differenz des Klimas zwischen 
Nordeuropa und den Tropen größer ist als die- 
jenige zwischen Südeuropa und den Tropen. Im 
übrigen bestehen bei allen Völkern unter den 
einzelnen Individuen sehr große Unterschiede, es 
gibt stets solche, die das heiße Klima gut ver- 
tragen und andere, die sehr darunter leiden. 
Wenn man von der Akklimatisationsfähigkeit eines 
Volkes spricht, kann man nur Durchschnittszahlen 
im Auge haben. 
Von großer Bedeutung für die Akklimatisation 
ist die Lage des fraglichen Ortes, da unter 
gleichen Breitegraden das Klima sehr verschieden 
sein kann. Ganz besonders besteht ein bedeutender 
Unterschied zwischen dem tropischen Küstenklima 
und dem Höhenklima. Das Küstenklima unserer 
tropischen Kolonien ist charakterisiert durch große 
Gleichmäßigkeit der Temperatur und hohe Lust- 
feuchtigkeit, die mittlere Jahrestemperatur beträgt 
etwa 25° C gegen 8° C in Berlin, der Unter- 
schied zwischen der höchsten und niedrigsten Tem- 
peratur während eines Jahres nur etwa 15° 
gegen 60“ in Berlin. Ein solches eigentlich 
tropisches Klima haben von den deutschen Schutz- 
gebieten die Küstenzone von Deutsch--Ostafrika, 
ganz Togo, die Küsten= und Urwaldzone von 
Kamerun und die Schutzgebiete in der Süsee. 
Im Gebiet des tropischen Küsten= und Niede- 
rungsklimas find schon seit Jahrhunderten von 
  
  
Europäern Kolonisationsversuche gemacht 
worden; da, wo Malaria zu den eigentlich klima- 
tischen Schwierigkeiten hinzukam, find diese Ver- 
suche vollständig gescheitert, wie bei den eingangs 
angeführten Beispielen. Aber auch auf malaria- 
freien Inseln ist bisher nirgends ein einwand- 
freies Beispiel vollkommener Akklimatisation er- 
reicht worden. Es ist dies sicher beachtenswert 
im Gegensatz zu der Tatsache, daß in nicht- 
tropischen Ländern die Europäer überall, in 
Nordamerika, Südafrika, Australien sich anzu- 
siedeln, zu vermehren und große neue Staaten 
zu bilden verstanden haben. Einzelne Beispiele 
angeblich gelungener Kolonisation durch Europêer, 
die sich zum großen Teil auf Inseln beziehen, 
die an der Grenze der Tropenzone liegen, pflegen 
als Beweis dafür, daß die vollkommene Akklima- 
tisation für den Europäer in den Tropen doch 
möglich ist, öfters genannt zu werden. Bei näherer 
Beleuchtung zeigen sie sich aber durchaus nicht 
einwandfrei. Ich will einige wenige nennen: 
Auf der Insel Réunion, 21° südlicher Breite, 
sollen sich Franzosen durch Generationen erhalten 
haben. Der französische Marinearzt Théron 
schreibt aber darüber: „Bei den Arbeiten des 
Untersuchungsausschusses haben wir bemerkt, daß 
je mehr der Stellungspflichtige sich in seiner Haut- 
farbe der weißen Rasse näherte, je heller der 
Kreole war, umsomehr bot er Gründe der Dienst- 
ausschließung; jemehr dagegen der Dienstpflichtige 
Merkmale afrikanischen Blutes darbot, umsomehr 
zeigte er sich physisch geeignet, für tauglich erklärt 
zu werden.“ Ein anderes Beispiel bildet die 
Insel Martinique, welche etwa zwei Jahrhunderte 
lang das Ziel französischer Auswanderer war. 
Schon im Anfang des 18. Jahrhunderts waren 
dort 15 000 Franzosen, jetzt sind dort noch etwa 
9000 und die politische und wirtschaftliche Herr- 
schaft auf der Insel befindet sich in Händen von 
Negern und Mischlingen. Hätten sich die Fran- 
zosen dort vollwertig erhalten, wäre das sicherlich 
nicht möglich. Die französische Regierung hat 
auch neuerdings in der Überzeugung, daß sich 
die Kleinbesiedlung, welche sich in den subtropischen 
Kolonien Algier und Tunis bewährt hatte, für 
die Tropen nicht eignet, die früher gewährten 
Vergünstigungen freier Überfahrt für Auswanderer 
zurückgezogen. 
Man findet überall bei solchen alten Anfied- 
lungen von Europäern im Bereich des tropischen 
Küstenklimas, daß die reine européische Rasse 
abnimmt. In der Regel bildet sich eine Misch- 
rasse, welche sich sowohl den reinen Nachkommen 
der eingewanderten Europäer als auch den Ein- 
geborenen gegenüber als stärker erweist. Ich er- 
innere besonders an die lateinischen Staaten des 
tropischen Amerika mit ihrer starken Misch-
	        
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