Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

GV 857 20 
Rolonialwirtschaftliche Mitteilungen. 
Die kolonlalen Faser. (Hanf.) und öl- Rohstoffe.) 
Im Anschluß an die früher gegebene Dar- 
stellung kolonialer Rohstoffe in ihrer Bedeutung 
für unser nationales Wirtschaftsleben sollen nun- 
mehr die kolonialen Faser-(Hanf-) und Ol- 
Rohstoffe behandelt werden. 
Als erstere kommen vornehmlich Jute, Manila- 
hanf und Sisalhanf in Betracht. Als Olstoffe 
liefernde Pflanzen haben vor allem zu gelten 
Raps und Lein, die Olpalme, deren Fruchtfleisch 
und Kerne Ol enthalten, die Kokospalme, bei 
welcher der Fruchtkern, getrocknet Kopra genannt, 
Ol liefert, und die Erdnuß, ein Hülsengewächs, 
das eigentümlicherweise seine Hülsen unter der 
Erde zur Reife bringt. Ferner kommen in Be- 
tracht der Sesam, eine einjährige, krautartige 
Pflanze, und die Baumwolle, aus deren Samen 
Ol gepreßt wird. 
Bildet die Baumwolle den heute fast unent- 
behrlichen Grundstoff für diejenigen Zweige der 
Textilindnstrie, welche für Bekleidungsstoffe aller 
Art Garne oder Gewebe herstellen, so brauchen 
andere Zweige dieser Industrie für ihre Zwecke 
den Hauf oder hanufartige Stoffe. Dazu 
gehören vornehmlich die Tauwerk= und Netz- 
industrie, die Jutespinnerei und -weberei, weiter- 
hin auch die Papierindustrie und das Tapezier- 
gewerbe. Die Gesamtproduktion an Hanffabrikaten 
dürfte einer Menge von 50 Millionen Kilogramm 
nahekommen. 
Eine beträchtliche Menge Hanf und Hauf- 
werg — im Jahre 1907 waren es 59 572,7t 
im Werte von 36,2 Millionen Mark — liefern 
uns Italien, Osterreich-Ungarn, Rußland, Serbien 
und die asiatische Türkei; erheblich größere Mengen 
Gespinstfasern aber kommen aus kolonialen Ge- 
bieten. Im Jahre 1907 waren das 174 750,2 t 
im Werte von 78,6 Millionen Mark. Der Gesamt- 
aufwand für Hanf und hanfartige Stoffe be- 
zifferte sich demnach auf 114,8 Millionen Mark, 
denen eine Ausfuhr von 25 184,3 t im Werte 
von 14,1 Millionen Mark gegenüberstand (15 822,4t 
europäischer Hanf im Werte von 9,4 Millionen 
Mark; 9361,9 t kolonialer Hanf im Werte von 
4,7 Millionen Mark. 
Die Summe von 78,6 Millionen Mark, welche 
im Jahre 1907 für koloniale Faser- (Hanf= stoffe 
aufgewendet wurde, verteilt sich auf die einzelnen 
Artikel folgendermaßen: 
*) „Kolonialwirtschaftliches“ IV. Aus dem Weiche- 
Wbeitsbtaut- Guli 1908). BVgl. B#Deutsches Kol. “ 
1 Ae# 11, S. 543 ff., Nr. 13, S. 631 ff. und ** 2. 
#- . 
  
  
  
  
mie . .. 1.4 Mill. Mark 
Jute, Jutewerg 66.3 - 
Manilahanf, -wer 2,9 - - 
Merik. Fiber, *“- * 3,.5 - 
Kokosfasern. 0,.4 - 
Indischer Hanf . 12 - - 
Leuseel. Lauf- Kapot ujw. 2,8 - - 
Alle diese Rohstoffe wurden fast ausschließlich 
vom Ausland bezogen, dem dafür mindestens 
77 Millionen Mark aus Deutschland zuflossen. 
Diese Zahlen lassen erkennen, ein wie starkes 
nationalwirtschaftliches Interesse wir daran haben, 
Faserstoffe in genügenden Mengen in unseren 
Kolonien zu erzeugen. 
Eine Möglichkeit, dies zu verwirklichen, bietet 
in erster Reihe die Kultur der Sisalagave, die 
in Deutsch-Ostafrika vor Jahren begonnen und 
in steigendem Maße günstige Ergebnisse geliefert 
hat. Die Sisalagave, so benannt nach de 
Hauptverschiffungshafen in ihrer mexikanischen 
Heimat Bukatan, enthält in ihren bis über 2 m 
langen, fleischigen Blättern einen Faserstoff, den 
Sisalhanf. Die Bemühungen Deutschlands, die 
Agavenkultur in seinen Kolonien zu fördern, gehen 
bis zum Jahre 1893 zurück. Auch hier mag 
das Verdienst des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees 
hervorgehoben werden, das durch vorbereitende 
Studien und Maßnahmen zur Verbesserung der 
Erntebereitung die Agavenkultur weiterbeförderte. 
Im Jahre 1898 wurde der erste Sisalhanf in 
Deutsch-Ostafrika geerntet. Seither hat die 
Kultur der Sisalagave stetig Fortschritte gemacht 
und stellt heute schon die nächst dem Kautschuk 
wichtigste Plantagenkultur in den Kolonien 
dar. Zur Zeit betreiben bereits achtzehn Gesell- 
schaften in Ostafrika den Sisalanbau plantagen- 
mäßig. 
Die Ausfuhr von Sisalhanf aus Deutsch-Ost- 
afrika über die Küstengrenze betrug: 
  
1903 422 066 kg im Werte von 321 116 Mk. 
1904 7641 761= -- - 739 - 
1905 1 140 332 - - 181 -- 
1906 1 820 887 - -1348 168 -- 
Die Ausfuhr hat sich also in vier Jahren 
der Menge wie dem Werte nach mehr als ver- 
vierfacht. Das Jahr 1907 dürfte wiederum 
eine erhebliche Steigerung der Ausfuhr gebracht 
haben, da eine weitere Reihe von Kulturen ertrags- 
fähig geworden ist. Allein im Bezirk Wilhelmstal 
in Ostafrika dürften nach sachverständiger Schätzung 
im nächsten Jahre 5 bis 6 Millionen Pflanzen 
ertragsfähig werden. Auch in Neuguinea 
und in Togo haben Versuche mit Sisalkulturen 
günstige Ergebnisse gezeitigt.
	        
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