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In nicht ferner Zeit wird nach sachverständigem
Urteil der Bedarf der deutschen Industrie an
Sisalhanf durch eigene Produktion in unseren
Kolonien zu decken möglich sein, und die bislang
dem Auslande zufließenden Geldmittel würden
dann unserer eigenen Volkswirtschaft erhalten
bleiben. Der Nutzen, den uns der Sisalbau
bringt, ist damit jedoch nicht erschöpft. Nach
übereinstimmenden Gutachten von Fachleuten ist
der Sisalhanf, der in Deutsch-Ostafrika gebaut
wird, von so vorzüglicher Beschaffenheit, daß er
dem erheblich teureren Manilahanf in vieler
Hinsicht fast gleichwertig, in gewissen Eigenschaften
sogar überlegen ist. Es besteht also die Aussicht,
daß eine weitere Ausdehnung unserer Sisal-
erzeugung uns ein Mittel an die Hand geben
wird, den vom Ausland bezogenen teueren
Manilahanf, vielleicht auch zum Teil die Jute,
durch unsere eigenen Erzeugnisse zu ersetzen. Es
sei dabei erwähnt, daß dieser Vorgang heute
bereits begonnen hat. Der Byukatan-Sisalhanf,
der früher der deutschen Industrie fast allein zur
Verfügung stand, hat sein Feld in Deutschland
ganz verloren, während der Ostafrika-Sisalhanf
sich einer fortgesetzt steigenden Nachfrage erfreut.
In beschränktem Umfang ist er also bereits mit
dem Manilahanf in Wettbewerb getreten. Es
sei ferner darauf hingewiesen, daß die Spinner
der Vereinigten Staaten von Amerika, die in den
letzten Jahren je 90 Millionen Kilogramm
mexikanischen Sisalhanf und Manilahanf für
Tauwerk und Garbenbindegarn für Mähmaschinen
verarbeiteten, neuerdings dem ostafrikanischen
Sisalhanf ein lebhaftes Interesse zuwenden, so
daß Aussicht vorhanden ist, auch dorthin Hanf
aus Ostafrika zu exportieren. Der in Ostafrika
noch herrschende Arbeitermangel hat zwar einer
schnelleren Entwicklung des Absatzes bisher noch
hemmend entgegengewirkt; die bessere Aus-
gestaltung der Verkehrswege und eine organisierte
Arbeiterbeschaffung, wie sie neuerdings in Angriff
genommen sind, werden jedoch allmählich mehr
Arbeitskräfte für den Plantagenbau freimachen
und dadurch Abhilfe schaffen.
Die Sisalagave stellt die wertvollste Faser-
pflanze in unseren Kolonien dar. Daneben kommt
in Ostafrika noch die Sanseviera vor, eine
wildwachsende Agavenart, die einen sehr guten
Hanf liefert, deren Ausbeutung jedoch, da die
vorhandenen Bestände meist nur versprengt vor-
kommen, noch mit großen Schpwierigkeiten ver-
knüpft ist. Erst mit dem weiteren Ausbau der
Eisenbahnen wird ihre Ausbeutung im großen
sich lohnen. Auch eine Bananenart, die dem
Manilahanf ähnliche Fasern liefert, findet sich in
derselben Kolonie, wenn auch nicht in großen
Mengen, vor.
Von noch größerer Bedeutung als die Ver-
sorgung mit Faserstoffen ist für die deutsche In-
dustrie die Deckung ihres Bedarfs an Ol-Roh-
stoffen sowie pflanzlichen Olen und Fetten.
Im Jahre 1907 wurden nach Deutschland
eingeführt:
1000 t Mill. Mark
Olfrüchte 1007,8 270,2
Ole, Pflanzenfette 117,4 60,2
Olkuchen. 713,7 94,3
Der Gesamtwert der Einfuhr bezifferte sich
demnach auf 424,7 Millionen Mark, denen eine
Ausfuhr von 63,3 Millionen Mark gegenüber-
stand, nämlich:
1000 t Mill. Mark
Olfrüchte 21,2 5,7
Ole, Pflanzenfette 41,5 33,8
Olkuchen. 179,7 23,8
Eine sehr beträchtliche Menge von Ol-Roh-
stoffen wurde demnach in Deutschland teils in
den direkten Verbrauch, wie z. B. als Viehfutter
(Olkuchen), übergeführt, teils in mannigfachen
Gewerbszweigen, wie z. B. in der Licht-, Seifen-,
Stearin-, Schmieröl-, Speiseöl-, Margarine-, Par-
fümerieindustrie sowie der chemischen Industrie,
weiterverarbeitet und diente somit in starkem
Maße zur Herstellung von Ausfuhrartikeln. Läßt
man die Olkuchen, die lediglich als Viehfutter,
bei geringerer Beschaffenheit auch als Dünge-
mittel dienen, außer Betracht, so ergibt sich aus
den oben mitgeteilten Zahlen, daß die Ol her-
stellende und Ole sowie Pflanzenfette verarbeitende
Industrie im Jahre 1907 330,4 Millionen Mark
aufwenden mußte, um in den Besitz des benötigten
Rohmaterials zu gelangen.
Der Anteil der kolonialen Olstoffe — Ol-
früchte und Ole bzw. Pflanzenfette — an diesem
Bedarf ist sehr beträchtlich. Sieht man von Ol-
früchten ab, für deren Anbau in unseren deutschen
Kolonien vorläufig keine Aussicht besteht, wie
z. B. Raps, der vorzugsweise von Britisch-Indien
zu uns kommt (1907: 140 872,9t = 89,9 v. H.
der Gesamt-Rapseinfuhr), Leinsamen, Erdmandeln
u. dgl., und zieht man nur diejenigen Olfrüchte
in Betracht, an deren Lieferung unsere eigenen
Kolonien bereits beteiligt sind, oder die in ihnen
wenigstens vorkommen, so ergibt sich eine Menge
von 396 146,9 t kolonialer Olfrüchte im
Werte von 125,9 Millionen Mark, die im
Jahre 1907 nach Deutschland eingeführt wurde.
Davon entfielen auf:
Mill. Mark
Palmkerne. 55,4
Kopra 23,5
Sesam 20,5
Mohn-, Sonnent iumensamen 11,7
Erdnüsse 6,1