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gebenden; denn man kann nicht „organisieren“,
wenn man nicht weiß wofür. Was also wollen wir
in unseren tropischen Schutzgebieten in der Ein-
geborenenhygiene erzielen? Wir sehen, daß unser
Wollen beschränkt ist, und so gibt es mit Rücksicht
auf diese Beschränkung zwei wesentlich verschiedene
Möglichkeiten. Entweder die verfügbaren Mittel,
persönliche wie sachliche, Arzte wie Geldmittel
werden auf alle die vielen größeren und kleineren,
ihrer Erledigung harrenden Aufgaben der Kolo-
nialhygiene verteilt, oder wir werfen uns mit kon-
zentrierten Kräften zunächst nur den gefährlichsten
Feinden des Volkswohles entgegen. Wir wenden,
um am praktischen Beispiele deutlich zu werden,
entweder alle unsere Mittel zu einer gründlichen,
energischen und beschleunigten Ausrottung etwa
der Pocken, Lepra, Dysenterie und Schlafkrankheit
an (wohlgemerkt natürlich immer neben der prak-
tischen ärztlichen Tätigkeit für den einzelnen und
wissenschaftlichen Forschung, wo diese möglich ist),
oder wir nehmen einen Anlauf gleichzeitig gegen
sämtliche volkshygienischen Übelstände unter den
Eingeborenen. Welche der beiden Methoden vor-
zuziehen sei, ist schwer zu entscheiden. Ich selber
würde der ersteren den Vorzug geben. Die Be-
rechtigung zu diesem Standpunkte leitet sich aus
der Überzeugung her, daß die mit den wirtschaft-
lich schwersten Schädigungen einhergehenden
Volksseuchen an allererster Stelle und mit konzen-
triertem Nachdruck in Angriff zu nehmen seien,
selbst auf die Gefahr hin, daß weniger wichtige
Fragen zeitweise dadurch zurücktreten müssen.
Lieber in drei oder vier großen Dingen ganze
Arbeit leisten, als ein Dutzend Halbheiten. Lieber
einige wenige volkshygienische Aufgaben praktisch
durchführen als hundert anschneiden und liegen
lassen. Wir können auch mit unseren geringen
Mitteln schon gegen Pocken, Lepra, Dysenterie
und vielleicht auch Schlafkrankheit, allerdings nach
einigen Jahren harter Arbeit, zum Ziele kommen,
wenn wir uns gegen sie konzentrieren. Die Be-
kämpfung wirtschaftlich weniger wichtiger Volks-
krankheiten — greifen wir als Beispiel nur das
große Heer der zahllosen verschiedenen Hautleiden
und endemischen parasitären Krankheiten heraus
— müssen wir zwar im Auge behalten, aber hin-
sichtlich ihrer Ausrottung müssen sie und manche
andere eine eura posterior sein. Ich will damit
nicht etwa behaupten, daß bei günstiger Gelegen-
heit nicht auch weniger bedeutsame volksgesund-
heitliche Schäden da, wo wir ihnen gerade bequem
beikommen können, jetzt schon beseitigt werden
sollten. Aber es muß ein Gelegenheitsschlag sein.
IJm übrigen die praktische Arbeit nicht zersplittern
und zunächst das Gröbste möglichst im ganzen
Lande gründlich verrichten. Unsere musterhaften
heimischen volkshygienischen Vorkehrungen können
wir leider nicht in die Tropenkolonien übertragen.
In ihnen müssen erst die Fundamente geschaffen
werden. Volksheilstätten, Irrenanstalten, Blinden-
heime, Taubstummenschulen oder Krüppelheime
können wir nicht gründen, aber Lymphe gewinnen
und alle unsere Schwarzen durchimpfen, für jeden
Bezirk ein Lepradorf anlegen, unsere Schlaf-
kranken isolieren, die Ernährungs= und Trink-
wasserfrage bei allen Massenansammlungen regeln
und überwachen, das könnten wir. Um nicht miß-
verstanden zu werden, möchte ich einfügen, daß ich
natürlich nur in der Volkshygiene für Eingebo-
rene diese meine Ansicht gelten lasse. Ganz
anders liegen die Dinge bei der gesundheitlichen
Fürsorge der Europäer in den Tropen. Ihre bis-
her geringe Zahl, die eigentlich kaum dazu berech-
tigt, von „Volkshygiene“ bei ihnen zu sprechen,
ermöglicht und erfordert allseitige bis ins kleinste
gehende Arbeit auch schon jetzt. Freilich würde sich
auch hierbei empfehlen, die Grundfragen zuerst zu
lösen.
In den genau festgelegten großen Richtlinien
für die volkshygienische Arbeit liegt gleichzeitig
eine weitere, wesentliche Gewähr für ein unge-
trübtes Zusammenwirken von Volkshygieniker und
Verwaltung, zumal wenn diese nicht nur die
Sanktion, sondern auch einen Nachdruck durch die
vorgesetzte Behörde erhält.
Der koloniale Verwaltungsbeamte kann aber
die Eingeborenenhygiene nicht nur in den Be-
zirken, denen bereits ein Arzt zur Verfügung steht,
fördern; auch da, wo Arzte noch nicht stationiert
sind, vermag er allein sehr viel für sie zu tun. Bei
einem Kulturvolke geht der Schwerkranke, wenn
er vernünftig ist, sofort zum Arzte; ist er unver-
nünftig, so sucht er ihn wenigstens als letzte
Instanz auf. Beim Naturvolke ist für einen Er-
krankten nach der üblichen Durchgangsstufe des
Fetischpriesters oder sonstigen Medizinmannes die
letzte Hoffnung der Weiße schlechthin, das höhere
Wesen, von dem er als selbstverständlich annimmt,
daß er auch eine wirksame Arzuei für sein Leiden
habe. So wird jeder Europäer auf Reisen im
„Busch“ erlebt haben, daß ein Kranker ihn um
Hilfe bat. Die meisten, auch nicht mit Arzten be-
setzten Stationen in unseren Kolonien haben schon
seit Jahren, ebenso wie vor ihnen bereits die
Missionen, für ihre Arbeiter, Gefangenen und wer
sonst zu ihnen kommt, einen täglichen Samariter-
dienst eingerichtet, durch den Verbände angelegt
und andere einfachere gesundheitliche Hilfeleistun-
gen gewährt werden. Sie treiben also damit In-
dividnalhygiene, Kolonialpolitik, und zwar eine
Politik, die dem Neger sehr willkommen ist und
von ihm geschätzt wird. Selbst eine nachhaltige
Dankbarkeit wird er, wenigstens in einzelnen
Fällen, für genossene Hilfe bewahren. Ein rühren-