Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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Betätigung für Versuchsanstalten verschiedener Art 
treten, also mit etwa 25 bis 30 Jahren, ferner vor- 
wiegend praktisch ausgebildete Landwirte als Hilfs- 
organe der staatlichen Versuchsunterneh- 
mungen.-“ 
Je nach Zweck und Ziel muß also die Ausbildung 
verschieden sein. Wer schon gleich nach der Schulzeit 
sich in möglichst kurzer geit für die Kolonien vor- 
bereiten will, kann sich mit guten Erfolgen der be- 
währten Kolonialschule in Witzenhausen be- 
dienen. Der Kursus ist ein dreijähriger. Im ersten 
Jahre entspricht die Tätigkeit ungefähr der eines 
landwirtschaftlichen Lehrlings. Es wird dort tüchtig 
in allen landwirtschaftlichen Obliegenheiten, außerdem 
mit besonderer Berücksichtigung für die Kolonien auch 
im Baumschulenbetrieb und in bestimmten Handwerken, 
wie Tischlerei, Sattlerei, Bauhandwerk, Schmiede usw., 
gearbeitet. In den beiden weiteren Jahren treten 
neben die praktische Ausbildung eine Reihe von land- 
wirtschaftlichen, kolonialwirtschaftlichen hugienischen 
und technischen Vorlesungen und Ubungen mit den 
nötigen Grundfächern, so daß dort in der Ausbildung 
für die Kolonien in drei Jahren alles Menschenmögliche 
geleistet wird. Der Erfolg ist ein solcher, daß gahl- 
reiche Pflanzungsgesellschaften bei Anstellung von 
Pflanzungsbeamten in Witzenhausen ausgebildete Land- 
wirte bevorzugen. Ein kürzerer Besuch des Lehr- 
ganges von Witenhausen als zwei Jahre ohne voll- 
ständigen Lehrgang der dort gehaltenen Vorlesungen 
ist zwecklos. Witzenhansen ist Internat. Jeder Schüler 
muß in der Anstalt wohnen und sich der strengen 
Oausordnung fügen. Der Umstand, daß neben der 
praktischen und wissenschaftlichen Ausbildung auch die 
allgemeine Ergiehung für die Kolonien dem Charakter 
nu#/sw. nach im Internat in entsprechender Weise beein- 
flußt wird, bringt es mit sich, daß dort eine ganze 
Angahl von Schülern mehr oder weniger freiwillig 
vor Beendigung des Lehrganges ausscheiden. Diese 
vorübergehenden Besucher haben dann leider wohl zu 
der in manchen KPreisen ungünstigen Beurteilung 
Witzenhausener Kolonialschüler geführt. Als normaler 
Absolvent von Witzenhausen kann also nur derjenige 
betrachtet werden, welcher mindestend zwei Jahre dort 
gewesen ist und darüber ein Zeugnis der Anstalt bei- 
bringt. 
Für diejenigen, welche nur den zweijährigen Vor- 
lesungskursus in Witzenhausen besuchen, wird mit Recht 
eine vorausgehende richtige landwirtschaftliche Lehrgeit 
von 1 bis 2 Jahren verlangt, in welcher der betreffende 
Lehrling wohl bei den herrschenden Verhältnissen im 
allgemeinen weniger zu körperlicher Arbeit wie in 
Witzenhausen während des ersten Jahres herangegogen 
wird, dafür aber vielleicht etwas mehr gelernt hat, 
schon Arbeitern gegenüber als Vorgesetzter, wenn auch 
in geringem Maße, aufzutreten und mehr in das 
eigentliche praktische Leben hineinzusehen. Um diesen 
letzteren Mangel Witzenhausens an Fühlung mit dem 
praktischen Leben und Ausbildung als Vorgesetzter zu 
ersetzen, ist es gut, nach Absolvierung des dreijährigen 
Kursus in Witzenhausen sich noch in Deutschland 1 bis 
2 Jahre als landwirtschaftlicher Verwalter zu be- 
tätigen. 
Wie soll sich nun derjenige Landwirt vorbereiten, 
welcher schon eine Reihe von Jahren Verwalter oder 
Inspektor gewesen ist? Nach unserer Ansicht gehört 
*) Auch werden praktische Landwirte als Stations- 
Assistenten eingestellt; diese müssen wegen Wahr- 
nehmung polizeilicher Funktionen und als Vorgesetzte 
einer Polizeitruppe Soldat gewesen sein. (Anm. d. 
Red.) 
  
dazu in den meisten Fällen ein regelrechtes land- 
wirtschaftliches Studium von mindestens 4 bis 
5 Semestern, denn um fremde Verhältnisse bald ver- 
stehen zu lernen, muß die Bildung vielseitiger sein, 
als sie nur unsere landwirtschaftliche Praris gibt. 
Nur einzelne Auserlesene haben die Energie, sich ohne 
wissenschaftliches Studium an einer Hochschule eine 
allgemeinere Bildung im praktischen Leben anzneignen. 
Wer schon in der Praxis gewesen ist mit der Absicht, 
sich in den Kolonien zu betätigen, mit einer der ge- 
nannten Arbeitsrichtungen vor Augen, hat vielleicn 
schon in der Praxis Wirtschaften einerseits mit großerer 
Viehzucht, Lesonders Wollschäfereien, oder anderseits 
solche mit recht vielseitigen Pflanzenbauverhältnissen. 
ausgedehntem Hackfruchtbau. möglichst auch Baumschulen, 
vorziehen können. In der Studienzeit ist nun Gelegen- 
heit gegeben, das spätere Ziel für Betriebe der kolo- 
nialen Landwirtschaft weiter zu berücksichtigen; der 
spätere koloniale Viehzüchter muß z. B. auch die bei 
jeder landwirtschaftlichen Hochschule und Universitäts- 
institut gebotene Gelegenheit der Ausbildung im VBe- 
terinärwesen möglichst mit ausnützen. Ferner soll er 
in den Ferien möglichst noch einen besonderen Woll- 
kursus an einer Wollspinnerei, wie es z. B. jetzt durch 
die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft bei der Woll- 
wäscherei und Kämmerei in Hannover-Döhren er- 
möglicht ist, mitmachen. Der zukünftige Pflanzer 
sollte besonderen Wert in seinen Studien auf Boden- 
kunde, Saatzucht, Obstbau und Forstwirtschaft, wie 
überhaupt auf eine gute botanische Ausbildung legen, 
auchmöglichst in einer Maschinenfabrik sich weiter praktisch 
ausbilden. Während der Studienzeit sind besonders kolo- 
nialpolitische kolonialwirtschaftliche und geographische 
Vorlesungen im Anschluß an die von Landwirten all- 
gemein gehörten Vorlesungen über Naturwissenschaften. 
Volkswirtschaft und Landwirtschaft zu berücksichtigen. 
Ferner kommen in Botracht Tropenhygienc, die jegzt 
fast an jeder Universität in kurzen populären Vor- 
lesungen geboten wird. Schließlich ist es wichiig, 
auch möglichst — wenn schon eine bestimmte Kolonie 
in Auosicht genommen ist — die Hauptsprache der 
Kolonie zu lernen, besonders für Deutsch-Ostafrika 
Kifuaheli, d. i. die Sprache der Wasuaheli, d. h. des 
Volks der Suaheli. Selbstverständlich ist es auch, 
daß derjenige, welcher überhaupt in die Welt hinaus- 
gehen will, einige Sprachkenntnis des Englischen haben 
muß. Die Universität Halle a. S. hat die kolonialen 
Vorlesungen mit besonderer Berücksichtigung der Land- 
wirtschaft zusammengefaßt als sogenannte Kolonial- 
akademic. Dort wird bekanntlich studierenden Land- 
wirten sehr viel durch weitgehenden Auobau des 
landwirtschaftlichen Studiums und ausgedehnte Ver- 
suchseinrichtungen wie Haustiergarten usw. geboten. 
In sprachlicher Beziehung ist eine besondels s gule 
Ausbildung durch das Seminar für orientalische 
Sprachen in Berlin möglich. so daß z. B. derjenige, 
welcher an der Landwirtschaftlichen HoRchschule 
in Berlin studiert oder dort seinem Hauptsundium 
obliegt, ohne weiteres sein sprachliches Wissen für die 
Kolonien und in Hygiene, kolonialer Landeskunde usw. 
am geuannten Seminar ergänzen kann. Das Ham— 
burgische Kolonialinstitut in Hamburg gibt in 
erster Linie eine allgemeine wisseuschaftliche Ausbildung 
für die Kolonien für Beamte und Kaufleute im Laufe 
von zwei Semestern. Ein so gründliches landwirt- 
schaftliches Studium, wie es unsere bewährten Hoch- 
schulen und Universitäten bieten, von denen wir nur 
die für die Kolonien besonders viel leistenden nannten. 
ist natürlich dort nicht möglich, wohl aber werden 
auch lürzere kolonial-landwirtschaftliche Vorlesungen 
gehalten, so daß auch dort der studierende Landwirt.
	        
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