Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIII. Jahrgang, 1912. (23)

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etwa 6 Millionen Kantar belaufen, während 
gleichzeitig eine teilweise Verschlechterung der 
Qualität festzustellen ist, die von vielen auf die 
Erhöhung des Grundwassers, eine Folge des 
neuen Irrigationssystems, zurückgeführt wird. Es 
werden wahrscheinlich große Drainagearbeiten 
nötig werden, um diesen nicht vorausgesehenen 
Folgen der Wasserbauten zu begegnen. Die große 
diesjährige amerikanische Baumwollernte hat 
außerdem naturgemäß den Preis der ägyptischen 
Baumwolle herunterdrücken müssen. 
Die Einnahmen dieses Jahres werden also 
gegen die des Vorjahres bedeutend zurückstehen. 
Die Ernte des Jahres 1910/11 hatte nach den 
Zollstatistiken aus der Baumwolle eine Einnahme 
von 26 550 000 LK ergeben. Die voraussichtliche 
Exportziffer des Jahres 1911/12 wird auf etwa 
19 500 000 K— geschätzt, was eine Differenz von 
7 Millionen Pfund Sterling ergeben würde. Ein 
derartiger Ausfall muß auf die wirtschaftlichen 
Verhältnisse eines Landes, dessen alleinige Hilfs- 
quellen in der Landwirtschaft, und zwar fast 
lediglich in der Baumwolle, liegen, wesentlichen 
Einfluß haben, um so mehr als das durch die kurz 
vorhergegangene schwere Krise geschwächte Land 
der Höchstentwicklung seiner Leistungsfähigkeit be- 
durft hätte, um die Folgen der Krisis von 1907 
zu überwinden. 
Aber auch dieser Ausfall hätte allein den 
wirtschaftlichen Gesundungsprozeß Agyptens wohl 
aufzuhalten, aber nicht völlig zu durchbrechen 
vermocht, wenn die Verhältnisse in Europa normal 
geblieben wären. 
Es muß im Auge behalten werden, daß 
Agypten bei der rapiden Entwicklung, welche sein 
Wirtschaftsleben innerhalb der letzten zehn Jahre 
genommen hat, nicht in der Lage war, die nötigen 
Kapitalien aus eigener Kraft aufzubringen, son- 
dern daß es in erster Linie auf ausländischen 
Kredit angewiesen ist. Zu einem glatten Verlauf 
des wirtschaftlichen Heilungsprozesses wäre es also 
vor allem nötig gewesen, daß dieser Kredit nicht 
erschutert wurde, daß insbesondere in diesem 
Jahre, bei der mittelmäßigen Ernte, die Kredite 
bis zur nächsten Ernte erneuert würden. 
Die vielen Banken und Kreditinstitute, welche 
sich im Laufe der letzten 10 Jahre in Agypten nieder- 
gelassen haben, arbeiten zum größten Teile mit 
den Mitteln, die ihnen seitens ihrer europäischen 
Mutteranstalten zur Verfügung gestellt werden. 
Die einheimische Bevölkerung selbst ist noch kaum 
daran gewöhnt, ihre flüssigen Gelder in vollem 
Umfange bei den Banken zu deponieren, so daß 
also tatsächlich die Entwicklung Agyptens ganz 
auf ausländischem Kredit beruht. 
Dies ist der Nachteil des ägyptischen Geschäfts- 
lebens, der ihm auch diesmal, hervorgerufen 
  
durch die allgemeinen politischen Verhältnisse in 
Europa, zum Verhängnis werden sollte. 
Die in Agypten vertretenen französischen 
Banken haben sich von Anfang Juli an nicht 
nur allergrößte Reserve auferlegt, sondern auch 
ihre ausländischen Guthaben eingefordert. Da- 
durch haben sich auch die anderen Banken ge- 
nötigt gesehen, ihre Kredite einzuschränken. Die 
nervös gewordenen Geldmärkte in Paris und 
besonders in London begannen alles zurück- 
zuweisen, was nicht mehr als vollkommen erst- 
klasig gelten konnte. Es erfolgte der Fall der 
seit annähernd 60 Jahren bestehenden „Bank of 
Egypt“, der einen außerordentlich ungünstigen 
Eindruck hervorrufen mußte und in Europa die 
Kreditwürdigkeit Agyptens in Frage stellte. Die 
europäischen Banken begannen angesichts dieser 
Zahlungseinstellung ihre Kreditschrauben fester an- 
zuziehen, einzelnen ihrer Kunden Kredite zu ver- 
weigern, und infolgedessen mußten auch die Banken 
in Agypten eine weitere Reduzierung der Kredite 
vornehmen. 
Wenn diese Einschränkung des Kreditverhält- 
nisses langsam und in Ruhe vor sich gegangen 
wäre, so hätte sie vielleicht nicht so schwer auf 
die finanzielle Lage gewirkt. Mitten in diese 
Vorfälle kam jedoch die Erklärung des italienisch- 
türkischen Krieges, und nun begannen die Er- 
eignisse sich etwas zu überstürzen. Die Banken 
in Europa forderten noch schärfer die eingeräumten 
Kredite zurück, teilweise wurden diese sogar ganz 
gekündigt. Die ägyptischen Banken waren danach 
ihrerseits gezwungen, so rasch wie möglich Rück- 
zahlung bzw. Einschränkung der Kredite zu fordern. 
Es zeigte sich von neuem der große Mangel 
in der ägyptischen Kreditorganisation: das Fehlen 
eines Zentralinstituts, bei welchem die anderen 
Banken ihre Aktiva flüssig machen können. Die 
Nationalbank hat wohl das Recht der Noten- 
ausgabe, doch nur in der Weise, daß sie gegen 
die ausgegebenen Banknoten 50 v. H. in Gold 
und 50 v. H. in erstklassigen Staatspapieren, 
Dette Unifice, Konsols usw. halten muß. Dieses 
Notenprivilegium ermöglicht der Nationalbank 
jedoch nicht, in kritischen Zeiten dem Lande zu 
Hilfe zu kommen. Sie kann weder Dreimonat- 
wechsel, sei es auf das Inland, sei es auf das 
Ausland, als Deckung für ihre Noten betrachten, 
noch kann sie irgendwelche anderen effekuven 
Werte in die Berechnung der Notendeckung ein- 
beziehen. 
Da infolgedessen die Nationalbank auch gar 
kein Interesse daran hat, die Zentralstelle des 
Landes zu sein, welche den Kredit und den 
Zinsfuß reguliert, so können die anderen Banken 
Agyptens einen Re-Escompte bei ihr nur machen, 
wenn es der Nationalbank gerade paßt, und da
	        
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