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etwa 6 Millionen Kantar belaufen, während
gleichzeitig eine teilweise Verschlechterung der
Qualität festzustellen ist, die von vielen auf die
Erhöhung des Grundwassers, eine Folge des
neuen Irrigationssystems, zurückgeführt wird. Es
werden wahrscheinlich große Drainagearbeiten
nötig werden, um diesen nicht vorausgesehenen
Folgen der Wasserbauten zu begegnen. Die große
diesjährige amerikanische Baumwollernte hat
außerdem naturgemäß den Preis der ägyptischen
Baumwolle herunterdrücken müssen.
Die Einnahmen dieses Jahres werden also
gegen die des Vorjahres bedeutend zurückstehen.
Die Ernte des Jahres 1910/11 hatte nach den
Zollstatistiken aus der Baumwolle eine Einnahme
von 26 550 000 LK ergeben. Die voraussichtliche
Exportziffer des Jahres 1911/12 wird auf etwa
19 500 000 K— geschätzt, was eine Differenz von
7 Millionen Pfund Sterling ergeben würde. Ein
derartiger Ausfall muß auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse eines Landes, dessen alleinige Hilfs-
quellen in der Landwirtschaft, und zwar fast
lediglich in der Baumwolle, liegen, wesentlichen
Einfluß haben, um so mehr als das durch die kurz
vorhergegangene schwere Krise geschwächte Land
der Höchstentwicklung seiner Leistungsfähigkeit be-
durft hätte, um die Folgen der Krisis von 1907
zu überwinden.
Aber auch dieser Ausfall hätte allein den
wirtschaftlichen Gesundungsprozeß Agyptens wohl
aufzuhalten, aber nicht völlig zu durchbrechen
vermocht, wenn die Verhältnisse in Europa normal
geblieben wären.
Es muß im Auge behalten werden, daß
Agypten bei der rapiden Entwicklung, welche sein
Wirtschaftsleben innerhalb der letzten zehn Jahre
genommen hat, nicht in der Lage war, die nötigen
Kapitalien aus eigener Kraft aufzubringen, son-
dern daß es in erster Linie auf ausländischen
Kredit angewiesen ist. Zu einem glatten Verlauf
des wirtschaftlichen Heilungsprozesses wäre es also
vor allem nötig gewesen, daß dieser Kredit nicht
erschutert wurde, daß insbesondere in diesem
Jahre, bei der mittelmäßigen Ernte, die Kredite
bis zur nächsten Ernte erneuert würden.
Die vielen Banken und Kreditinstitute, welche
sich im Laufe der letzten 10 Jahre in Agypten nieder-
gelassen haben, arbeiten zum größten Teile mit
den Mitteln, die ihnen seitens ihrer europäischen
Mutteranstalten zur Verfügung gestellt werden.
Die einheimische Bevölkerung selbst ist noch kaum
daran gewöhnt, ihre flüssigen Gelder in vollem
Umfange bei den Banken zu deponieren, so daß
also tatsächlich die Entwicklung Agyptens ganz
auf ausländischem Kredit beruht.
Dies ist der Nachteil des ägyptischen Geschäfts-
lebens, der ihm auch diesmal, hervorgerufen
durch die allgemeinen politischen Verhältnisse in
Europa, zum Verhängnis werden sollte.
Die in Agypten vertretenen französischen
Banken haben sich von Anfang Juli an nicht
nur allergrößte Reserve auferlegt, sondern auch
ihre ausländischen Guthaben eingefordert. Da-
durch haben sich auch die anderen Banken ge-
nötigt gesehen, ihre Kredite einzuschränken. Die
nervös gewordenen Geldmärkte in Paris und
besonders in London begannen alles zurück-
zuweisen, was nicht mehr als vollkommen erst-
klasig gelten konnte. Es erfolgte der Fall der
seit annähernd 60 Jahren bestehenden „Bank of
Egypt“, der einen außerordentlich ungünstigen
Eindruck hervorrufen mußte und in Europa die
Kreditwürdigkeit Agyptens in Frage stellte. Die
europäischen Banken begannen angesichts dieser
Zahlungseinstellung ihre Kreditschrauben fester an-
zuziehen, einzelnen ihrer Kunden Kredite zu ver-
weigern, und infolgedessen mußten auch die Banken
in Agypten eine weitere Reduzierung der Kredite
vornehmen.
Wenn diese Einschränkung des Kreditverhält-
nisses langsam und in Ruhe vor sich gegangen
wäre, so hätte sie vielleicht nicht so schwer auf
die finanzielle Lage gewirkt. Mitten in diese
Vorfälle kam jedoch die Erklärung des italienisch-
türkischen Krieges, und nun begannen die Er-
eignisse sich etwas zu überstürzen. Die Banken
in Europa forderten noch schärfer die eingeräumten
Kredite zurück, teilweise wurden diese sogar ganz
gekündigt. Die ägyptischen Banken waren danach
ihrerseits gezwungen, so rasch wie möglich Rück-
zahlung bzw. Einschränkung der Kredite zu fordern.
Es zeigte sich von neuem der große Mangel
in der ägyptischen Kreditorganisation: das Fehlen
eines Zentralinstituts, bei welchem die anderen
Banken ihre Aktiva flüssig machen können. Die
Nationalbank hat wohl das Recht der Noten-
ausgabe, doch nur in der Weise, daß sie gegen
die ausgegebenen Banknoten 50 v. H. in Gold
und 50 v. H. in erstklassigen Staatspapieren,
Dette Unifice, Konsols usw. halten muß. Dieses
Notenprivilegium ermöglicht der Nationalbank
jedoch nicht, in kritischen Zeiten dem Lande zu
Hilfe zu kommen. Sie kann weder Dreimonat-
wechsel, sei es auf das Inland, sei es auf das
Ausland, als Deckung für ihre Noten betrachten,
noch kann sie irgendwelche anderen effekuven
Werte in die Berechnung der Notendeckung ein-
beziehen.
Da infolgedessen die Nationalbank auch gar
kein Interesse daran hat, die Zentralstelle des
Landes zu sein, welche den Kredit und den
Zinsfuß reguliert, so können die anderen Banken
Agyptens einen Re-Escompte bei ihr nur machen,
wenn es der Nationalbank gerade paßt, und da