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Aufwaschschüssel. So vergingen die ersten Tage.
Bald waren unter diesen Verhältnissen 18 Per-
sonen erkrankt.
Nach mehrtägiger Fahrt kamen wir nach
Lagos, dort, so hieß es, sollten wir bleiben.
Die Engländer hatten Furcht vor den Deutschen,
denn die Häuser waren ganz mit Sandsäcken
verbarrikadiert; Kanonen, von schwarzen und
weißen Soldaten bedient, waren zum Schutz auf-
gestellt. Wir blieben hier zwei Tage. Die Bafler
und katholischen Missionare gingen ans Land;
weil wir aber keine Beziehungen dort hatten und
auch kein Geld, blieben wir an Bord. Missionar
Werner wurde hier ebenfalls krank. Am dritten
Tage fuhr dann der „Niger“, ein noch kleinerer
englischer Dampfer, an uns heran. Ehepaare
und einzelne Damen mußten nun auf ihn über-
siedeln. Wir hatten Decken bekommen mit
der dreimaligen Aufschrift „Gefangener“
und dem englischen Abzeichen für Zucht-
häusler. Auf dem „Niger“ brachten wir Tag
und Nacht gerade über der Schiffsschraube zu.
Wir waren wie gerädert. Auch hier wohnte alles
auf Deck, mit Affen, Hühnern und sonstigen Tieren
zusammen. In Lagos wurde Missionar Werner
von uns getrennt.
Wir wurden nach der Goldküste gebracht.
Unter einem Heidenlärm ruderten uns die Ein-
geborenen durch die starke Brandung an den
Strand von Accra. Auf großen schmutzigen Last-
autos wurden die Damen und Kinder, unter Be-
werfen mit Steinen, Bespeien usw. seitens der
Eingeborenen, fortgebracht. Es war sehr heiß
und wir waren ganz mit gelbem Sand bedeckt.
Hätte an diesem Tage Frau Missionar Zürcher
von der Basler Mission nicht für uns gesorgt,
die Engländer hätten uns wieder einmal hungern
lassen. Vor unserem Hause waren vier schwarze
Soldaten mit Gewehr und Bajonett aufgestellt,
die jeden unserer Schritte beobachteten. Man
fühlte ihnen so recht ihre Freude an, die
Weißen kommandieren zu können. Das
Essen kochte ein Schwarzer. Viel Schmutz war
darin, der Appetit verging schon beim Ansehen.
Unter diesen Verhältnissen verbrachten wir drei
Wochen. Dann sagten uns die Engländer, wir
Missionsleute (die Missionare Märtens und Riechert
mit ihren Frauen und ich) sollten in die Werk-
statt der Basler Mission ziehen. Wir fügten uns;
doch als wir dort waren, kümmerte sich die Re-
gierung nicht mehr um unsere Versorgung, wir
mußten selbst Essen kaufen, und da wir kein Geld
mehr hatten, liehen wir uns von der Basler
Missionshandlung, was wir brauchten. Nach
weiteren drei Wochen fuhr an einem Sonnabend
ein Lastauto mit einigen schwarzen Schutzleuten
vor mit der Nachricht: „In 20 Minuten kommen
wir zurück, bis dahin muß alles fertig gepackt
sein!“ So wurden wir von einer Ecke in die
andere geschoben. Als wir noch nicht ganz fertig
waren, sagte man uns: „Wenn ihr nicht sofort
kommt, dann tragt ihr eure Sachen selbst.“ So
ging es in aller Eile. Frau Riechert nahm noch
ein Brot unter den Arm und so fuhren wir fort,
nicht ahnend wohin. Man schaffte uns — es
war ½ 8 Uhr abends — in eine leere Schule,
wo sich auch die am selben Tage gefangenen
Deutschen aus Accra befanden. Bald darauf trat
dort das traurigste Ereignis, die schwerste Zeit
unserer Gefangenschaft ein: der Heimgang unserer
teuren Frau Märtens. Ihr Hinscheiden war eine
Befreiung für sie.
Montag, den 7. Dezember, mußten wir wieder
packen. Nachmittags wurden wir auf Lastautos
zum Strand gebracht und von dort aus mit
Booten auf die „Apam“, einen englischen Dampfer,
wo wir zu unserer Freude die Missionare Genz
und Wolff mit ihren Frauen und Missionar Orthner
antrafen, ebenso die Schwestern Hauschildt und
Siegenthaler. So waren wir elf Missionsge-
schwister allein von unserer Kamerun-Mission auf
der „Apam“. Man hatte alle Weißen, ob Deutsche
oder neutrale Holländer, Schweizer oder Ameri-
kaner, aus der Kolonie geschafft und behandelte
auch letztere wie Kriegsgefangene. Montag, den
28. Dezember, kamen wir nach Liverpool.
Dienstag verließen wir das Schiff. Die Ehe-
paare wurden wieder getrennt. Das waren
erschütternde Szenen, als die, von den vielen
Strapazen und Entbehrungen müde gewordenen
Mütter und Kinder nun allein standen und die
ganze Verantwortung allein auf sich gelegt fühlten.
Zu je 40 wurden die fast 250 Herren unter Be-
wachung abgeführt, um dann in England nicht
mehr von ihren Frauen und Kindern gesehen
zu werden. Die Frauen kamen in eine Her-
berge. Zu unserer Freude kamen später einige
Herren des amerikanischen Konsulats, welche unsere
Überführung nach London übernahmen. Als
wir uns auf der Fahrt von der „Apam“ zur
Herberge befanden, sahen wir, wie Liverpooler
Jungen eine tote Ratte im Schmutz wälzten und
einer unserer Damen ins Gesicht warfen. Auch
uns bewarf man mit Schmutz und Steinen. In
London nahm sich unser, weil nicht alle gleich
nach Rotterdam abreisen konnten, der Deutsche
Wohltätigkeitsverein an, ließ uns im dortigen
„Deutschen Hotel“ unterbringen und sorgte für
uns. Hier fühlten wir uns nach langer Zeit zum
erstenmal wieder wie Menschen. Nach zwei
Tagen fuhren wir dann zum Rotterdamer Dampfer.
Vorher mußten wir uns aber noch einer Leibes-
untersuchung durch eine Polizistin unterziehen.
Am nächsten Tage kamen wir nach Rotterdam