Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIX. Jahrgang, 1918. (29)

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Ich wende mich jetzt zu den einzelnen Punkten 
der Rede des Herrn Balfour. Balfour spricht 
zuerst von Belgien. Der Herr Reichskanzler hat 
im vorigen Monat im Reichstag für jeden, der 
hören wollte, erklärt, daß wir nicht beabsichtigen, 
Belgien in irgend einer Form zu behalten. Belgien 
solle nach dem Kriege als selbständiges Staats- 
wesen, keinem als Vasall unterworfen, wieder- 
erstehen. Meine Herren! Der Wiederher- 
stellung Belgiens steht nichts im Wege als 
der Kriegswille unserer Feinde! Eine wie 
geringe Rolle aber die Rücksicht auf Belgien heute 
in den Rechnungen der Entente spielt, zeigt am 
deutlichsten ein Zitat aus der amerikanischen Presse, 
das Englands Propaganda-Minister, Lord North= 
cliffe, in einem seiner Blätter mit begeisterter Zu- 
stimmung abgedruckt. Die „New York Times“ 
schreibt: 
„Deutschlands Beteuerung, daß es nicht 
Absicht hat, Belgien zu behalten, hat weder 
Interesse noch Wert. Die Alliierten werden 
Deutschland aus Belgien und Frankreich 
vertreiben“. 
Hierzu sagt Lord Northcliffe („Evening News“ 
vom 16. Juli 1918): 
„Wir sind hocherfreut, eine so klare und 
klingende Stimme aus Amerika zu ver- 
nehmen. So soll man sprechen: Deutsch- 
land soll vernichtet werden, im Sinne der 
„New York Times“. Wir meinen vernichtet 
durch blutige und absolut unheilvolle Nieder- 
lage auf dem Schlachtfelde, so daß von 
Deutschland nichts übrigbleibt, als die 
Knochen seiner toten Soldaten in Frank- 
reich und Belgien. Es gibt keinen anderen 
Weg“. 
So sprechen die Beschützer, die um Belgiens 
willen das Schwert ergriffen haben. 
Die zweite Anklage Balfours geht gegen 
unsere Ostpolitik. Ich antworte ihm darauf: Der 
Brest-Litowsker Friede kam zustande auf Grund 
der einen großen Übereinstimmung zwischen der 
russischen und der deutschen Regierung, daß die 
jahrhundertelang unterdrückten Fremdvölker Ruß- 
lands das von ihnen erstrebte nationale Eigen- 
dasein erhalten sollten. Diese lÜbereinstimmung 
über das Schicksal der Randvölker ist eine welt- 
bedeutende Tatsache, die sich aus der Geschichte 
nicht mehr auslöschen läßt. Nicht über das Ziel, 
wohl aber über die Methoden und Wege, die 
zum Eigendasein der Völker führen sollten, gingen 
die russische und deutsche Auffassung auseinander. 
Unsere Auffassung ist nach wie vor, daß der 
Weg zur Freiheit nicht über Anarchie und 
Massenmord führen darf. Zwischen der ersten 
Sprengung der Fesseln und der vollen Selbst- 
  
bestimmungsfähigkeit der Randvölker liegt ein na- 
türliches Ubergangsstadium. Bis sich die ordnenden 
Kräfte in den verschiedenen Ländern zusammen- 
finden, fühlt sich Deutschland zum Schutz dieser 
Gemeinwesen berufen, im eigenen wie im allge- 
meinen Interesse, wie denn auch tatsächlich Deutsch- 
land von nationalen Mehrheiten und nationalen 
Minderheiten gerufen worden ist. 
Der Brest-Litowsker Frieden ist ein Rahmen; 
das Bild, das darin entstehen wird, ist erst in 
seinen ersten Anfängen entworfen. Die deutsche 
Regierung ist entschlossen, den erbetenen und ge- 
gebenen Schutz nicht zu einer gewaltsamen An- 
nexion zu mißbrauchen, sondern den bisher unter- 
drückten Völkern den Weg zur Freiheit, Ordnung 
und gegenseitigen Duldung zu öffnen. 
Meine Herren! England hat das Recht ver- 
wirkt, moralisch für die russischen Randstaaten in 
die Schranken zu treten. In ihrer namenlosen 
Leidenszeit während des Krieges haben sie sich 
einmal über das andere an England um Unter- 
stützung ihrer Sache gewandt, sie ist ihnen ständig 
versagt geblieben. Es gab eine Zeit, in der 
England das zarische Rußland schärfer bekämpfte, 
als irgendeine andere Nation. Als aber während 
des Krieges das zaristische Rußland im eigenen 
Lande unterdrückte, raubte und mordete, da hat 
England geschwiegen, ja mehr als das, es hat 
den russischen Tatbestand vor der Welt beschönigt 
und gefälscht. Und so mordete Rußland dank 
Englands moralischer Unterstützung mit einer un- 
erhörten, durch das Gewissen der Welt nicht ge- 
hemmten Schwungkraft. Der Hehler darf nicht 
Richter sein! Das Problem der Fremdvölker, 
ja, das ganze russische Problem wird von 
England ausschließlich unter dem Gesichts- 
punkt der Erleichterung des englischen 
Krieges betrachtet. Jede Verfassung ist Eng- 
land recht, die Rußland als Kriegsmaschine tang- 
lich erhält. Und würde Iwan der Schreckliche 
auferstehen und Rußland zu neuem Kampfe zu- 
sammenschweißen, so würde er den Eugländern 
ein willkommener Bundesgenosse im Kreuzzug für 
Freiheit und Recht sein. Kann aber Rußland 
keinen Krieg gegen Deutschland mehr führen, 
dann wenigstens einen Bürgerkrieg, damit keine 
Ruhe an Deutschlands Ostfront entstehen kann. 
Die Anerkennung der Tschecho-Slowaken, dieser 
landlosen Räuberbanden, als verbündete Macht 
ist der logische Schlußstein der eigentümlichen 
Form englischer Russeufreundschaft. Die wirt- 
schaftliche Notlage der von uns besetzten Gebiete 
ist ohne Zweifel schwer, aber es ist Zynismus im 
englischen Munde, davon bedauernd zu reden, 
denn Englands Hungerblockade richtet sich gegen 
die besetzten Gebicte ebenso, wie sie sich gegen uns 
richtet, gegen die Neutralen, gegen die ganze Welt!
	        
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