118 $ 59. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung.
Reichsgesetz auf die Landesgesetze verweist und seine eigenen Anord-
nungen als nur subsidiäre erkennbar macht.
In einigen Fällen übrigens hat das Reichsgesetz seine Bestimmungen
als subsidiäre erklärt, dennoch aber die Landesgesetzgebung ausge-
schlossen, indem das Reichsgesetz zwar der örtlichen Rechtsbil-
dung (Ortsgebrauch, Ortsstatut, Verordnung der Ortspolizei) den Vor-
rang vor seinen eigenen Vorschriften einräumte, nicht aber die terri-
toriale Staatsgewalt zum Erlaß von Rechtsvorschriften ermächtigte!).
d) Landesgesetze zur Ergänzung der Reichsge-
setze sind unzulässig, wenn das Reichsgesetz eine Materie vollständig
regeln wollte, gleichviel ob es dieses Ziel tatsächlich in befriedigen-
der Weise erreicht hat oder nicht’). Das Reich entrückt durch ein
solches Gesetz die von ihm normierte Rechtsmaterie der einzelstaat-
lichen Autonomie. Ist eine Ergänzung der reichsgesetzlichen Bestim-
mungen erforderlich, so ist dieselbe den höheren allgemeinen Rechts-
prinzipien zu entnehmen, denen die in dem Reichsgesetz sanktionierten
Sätze sich logisch unterordnen. Im einzelnen Falle kann die Entschei-
dung der Frage allerdings sehr schwierig sein, ob ein Reichsgesetz eine
Rechtsmaterie in vollständiger und abschließender Weise regeln oder
Ergänzungen durch die Landesgesetzgebung gestatten will, und ob ein
von einem Landesgesetz geregelter Punkt zu dem von der Reichsge-
setzgebung okkupierten Gebiete gehört oder nicht). Die authentische
und allgemein maßgebende Entscheidung eines solchen Zweifels kann
stimmen hat, ob die reichsgesetzliche Vorschrift oder eine andere gelten soll. Vgl.
Heinze S. 86.
1) Beispiele liefert das (alte) Handelsgesetzbuch Art. 61, 82, 83, 331.
Die Gewerbeordnung Art. 69, 72 ff., 106, 108 u. v.a. Rosin, Polizeiverord-
nungen S. 70.
2) Heinze S. 23 und besonders S. 31 fg.; Riedel S. 82, 83; v. Rönne
IL, 1,S. 7; Seydel, Annalen 1881, S. 597: Löwe aa. OÖ. Note 3a; Binding
S. 289 ff. Vgl. auch Wach S. 200.
3) Die Frage ist für das Strafrecht besonders wichtig. In dem einen Falle be-
deutet das Schweigen des Reichsstrafgesetzbuchs über einen gewissen Tatbestand
Straflosigkeit desselben, in dem anderen Falle Unterwerfung desselben unter
die Autonomie der Einzelstaaten. Beispiele bei Heinze S. 32 ff. und in dessen
Erörterungen zu dem Entwurf des Strafgesetzbuchs (1870) S. 24 ff. Vgl. auch Rü-
dorff, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., S. 48 ff. und namentlich jetzt Bin-
dinga.a.0. Für das Handelsgesetzbuch und die Wechselordnung
ist reichsgesetzlich anerkannt, daß Ergänzungen durch die Landesgesetzgebung
statthaft sind und die landesgesetzlichen Vorschriften, welche nur eine Ergänzung
derselben enthalten, sind bei der Erklärung jener Gesetzbücher zu Reichsgesetzen in
Kraft erhalten worden. Gesetz vom 5. Juni 1869, $ 2 (Bundesgesetzbl. S. 379). Vgl.
Thöl, Handelsrecht I, S. 81 (6. Aufl... Auch das Gesetz über die freiwillige Gerichts-
barkeit $ 200 ermächtigt die Landesgesetzgebung ausdrücklich zur Ergänzung des
Reichsgesetzes. Ueber die sehr zahlreichen Vorbehalte der Landesgesetzgebung im
Bürgerlichen Gesetzbuch vgl. Endemann, Lehrbuch des bürgerl. Rechts I, $ 16,
Note 5. Anders dagegen das Haftpflichtgesetz. Vgl. Entsch. des Reichsgerichts vom
8. Febr. 1904 Bd. 57, S. 58.