Full text: Das Buch von unsern Kolonien.

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Eine amerikanische, zur Gesandtschaft gehörige Dame hat über diese 
Schreckenstage Buch geführt. Sie erzählt: Schon am 29. Mai wurde 
der Timeskorrespondent Dr. Morrison von den Torwächtern, etwa 25 Re- 
gulären, fast gesteinigt. Und daß eine solche Wache die Boxer nicht 
fernhalten, sondern ihnen sofort die Tore öffnen würde, lag auf der 
Hand. Ein Prinz von Geblüt hatte uns gewarnt (am 20. Mai). Der 
Gesandte bestand darauf, daß die Damen Peking verlassen sollten. Am 
5. Juni warteten wir auf dem Bahnhof von 11 bis 3 Uhr, bis uns 
endlich gesagt wurde, daß keine Züge mehr abgelassen werden könnten. 
Das chinesische Volk aber, das uns umdrängte, verriet durchaus keine 
Feindseligkeit. Mr. Pethick, der seit 30 Jahren in China gelebt und 
sogar chinesische Kleidung inklusive Zopf trug, der auch für Li-Hung- 
Chang, den Vizekönig der Provinz Petschili, durchs Feuer ging, vertrieb 
uns die Zeit mit Anekdoten über diesen Bismarck Chinas. Er war 
dessen Sekretär und sollte ihn nach Canton begleiten. Nach Peking zu 
kommen, dazu war Li-Hung-Chang zu vorsichtig. Als einem Freunde 
der Fremden und der Reform hätte ihm die Partei der Kaiserin-Witwe 
dasselbe Schicksal bereitet wie andern hohen Würdenträgern. Sie waren 
zum Tode verurteilt worden. Ihre Hinrichtung bestand darin, daß man 
sie der Länge nach mitten durchsägte. Der ganze Aufruhr ging unmittel- 
bar von der Hofpartei aus. Am 12. Juni wurde der Sekretär der 
japanischen Gesandtschaft ermordet, und am 13. zogen die Boxer in 
Scharen durch die Tore. Auf dem Yamen lachte man die Boten der 
Gesandten aus. „Wir können Ihnen nicht helsen. Die Stadt ist in 
den Händen der Boxer. Wir müssen froh sein, wenn man uns nichts 
tut.“ Dabei verloren die Europäer keineswegs ihre Zuversicht. Einige 
deutsche Soldaten, so berichtet die Amerikanerin, hatten die Verwegenheit, 
einige Boxer mitten aus dem tobenden Mob herauszugreifen und in die 
deutsche Botschaft zu schleppen. Dort las ihnen Freiherr v. Ketteler 
gründlich den Text. Dann sandte er auf das Yamen und verlangte, 
daß seine Gefangenen abgeholt und bestraft würden. Die Folge war, daß 
die Volksmassen die Gesandtenstraße zu stürmen Miene machten. Durch 
einige blinde Schüsse aus den Coltkanonen seitens der Amerikaner 
wurden sie vertrieben. Aber ein riesiger Feuerschein ließ erkennen, daß 
die Boxer ihre Arbeit der Zerstörung begonnen hatten. In der äußeren 
Stadt brannte es an zwei Stellen. 
Peking ist von gewaltigen Mauern in einer Länge von 24 km
	        
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