Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Drohende Verwickelung mit Frankreich. 119 
Frauenalb durch ihre Unterthanen aus dem Lande gejagt, ihrer Genossin 
in Elten der Eid verweigert wurde. Kleine Bauernunruhen brachen aus 
im Trier'schen, in den Herrschaften einiger Reichsritter und vor Allem in 
Speyer, dem verrufensten der deutschen Bisthümer, wo seit den Zeiten 
des Bauernkrieges eine harte Pfaffenherrschaft schaltete und die Gesetz- 
tafel für die weltliche Dienerschaft den Beamten „die Erfüllung des Willens 
des Herrn, somit das gemeine Beste“ als höchstes Ziel vorhielt. In 
Mecklenburg rotteten sich mißhandelte Fröhner zusammen und drohten: 
„den Edelmann wille wi dodflagen.“ Die armseligen örtlichen Zänkereien, 
welche den meisten Reichsstädten die Würze des Lebens bildeten, zeigten 
neuerdings einen ungewohnt gehässigen Ton; die Sprache gegen die Obrig- 
keit ward etwas lauter und schärfer; die geistlichen Fürsten den Rhein 
entlang erließen schon in ihrer Herzensangst gestrenge Strafmandate 
wider die Aufsässigkeit der Unterthanen. 
Das alles bedeutete wenig; der politische Schlummer war in Wahr- 
heit nirgends im Reiche so tief wie hier, auch die literarische Bewegung 
des evangelischen Deutschlands hatte das verkommene Völkchen der Krumm- 
stabslande noch kaum berührt. Aber wenn ein Umsturz von unten her 
nicht drohte, wenn selbst Forster in den Tagen seiner radicalen Schwärmerei 
gestehen mußte, dies Deutschland sei für eine Revolution nicht reif, so 
fehlte doch dem halt= und waffenlosen Kleinstaatenthum auch jede Kraft 
des Widerstandes gegen fremde Gewalt. Die erstorbenen Glieder des Reichs 
waren Frankreichs Nachbarn, seit zwei Jahrhunderten gewohnt den Macht- 
geboten des Versailler Hofes sich zu beugen; sie lagen im Gemenge mit 
den Gebieten der lebenskräftigeren weltlichen Staaten. Versuchte das 
revolutionäre Frankreich die alte Herrscherstellung der Bourbonen am 
deutschen Rhein in neuen Formen gewaltsam herzustellen, so konnte das 
stiftische Deutschland leicht mit einem Schlage zusammenbrechen, die 
letzten Trümmer des heiligen Reichs im Sturze mit sich niederreißen. 
Und solche Gefahr drohte schon seit den ersten, den sogenannten un- 
schuldigen Tagen der Revolution. Es war die Größe und der Fluch dieser 
Bewegung, daß sie über Frankreichs Grenzen hinausfluthen mußte. Der 
gräßliche Bauernkrieg des Sommers 1789 und die neuen Gesetze, welche 
das Ergebniß dieser Massenbewegung anerkannten, verwirklichten nur eine 
Welt von Wünschen und Gedanken, welche das ganze Jahrhundert hin- 
durch über alle Völker des Westens sich verbreitet hatten; was Wunder, 
daß die französische Nation sich jetzt als das Messias-Volk der Freiheit 
fühlte. Sie schrieb den furchtbar plötzlichen Zusammenbruch des bourbo- 
nischen Staates nicht der Thatsache zu, daß die alte Ordnung in Frank- 
reich noch ungleich verfaulter war als in den Nachbarlanden, sondern der 
Ueberlegenheit des französischen Genies. Der Unwille über die tief ge- 
sunkene europäische Machtstellung des Staates war unter den Ursachen 
der Revolution nicht die schwächste gewesen; nun, da die Kraft dieses
	        
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