6 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
seine Nordmarken berührten das harte Lutherthum Skandinaviens, doch
seine Kernlande blieben der Sammelplatz dreier Bekenntnisse. Die deutsche
Nation war das einzige paritätische unter den großen Völkern und darum
gezwungen, den blutig erkämpften kirchlichen Frieden in Staat und Ge—
sellschaft, in Haus und Schule durch die Gewöhnung jedes neuen Tages
zu befestigen. Vor Zeiten, da die römische Kirche noch die allgemeine
Kirche war und die Keime des Protestantismus in sich umschloß, hatte
sie unser Volk für die Gesittung erzogen, seine Kunst und Wissenschaft
reich befruchtet. Als sie diese Mächte der Freiheit ausstieß und gestützt
auf die romanischen Völker sich umgestaltete zu einer geschlossenen kirch—
lichen Partei, da gelang ihr zwar durch die Herrscherkunst des Hauses
Habsburg einen Theil des deutschen Reiches zurückzuerobern; dem Ge—
müthe unseres Volkes blieb der jesuitische Glaube immer fremd. Die
reichen geistigen Kräfte der neu-römischen Kirche entfalteten sich prächtig
in ihren romanischen Heimathlanden; in diesem feindlichen deutschen
Boden, in diesem Volke geborener Ketzer wollten sie nicht Wurzel schlagen.
Hier sang kein Tasso, kein Calderon, hier malte kein Rubens, kein Murillo.
Fast Niemand unter den faulen Bäuchen des deutschen Mönchthums wett—
eiferte mit dem Gelehrtenfleiße der ehrwürdigen Väter von St. Maur.
Die Gesellschaft Jesu erzog unter den Deutschen viele fromme Priester
und gewandte Staatsmänner, auch manche plumpe Eiferer, welche, wie
Pater Busenbaum, mit ungeschlachter Germanenderbheit der Welt das
Geheimniß verriethen, daß der Zweck die Mittel heilige; doch ihre ge—
sammte Bildung war das Werk romanischer Köpfe, wie die sinnberauschen—
den Formen ihres Cultus. In Deutschland wirkte der neue Katholicismus
nur hemmend und verwüstend; sein geistiges Vermögen verhielt sich zu
der Gedankenwelt der deutschen Protestanten wie die unfruchtbare Scho—
lastik unseres ersten Jesuiten Canisius zu der schlichten Weisheit der
Werke Luther's. Rom wußte es wohl, Deutschland blieb die feste Burg
der Ketzerei, trotz aller Massenbekehrungen der Gegenreformation. Das
Mark unseres Geistes war protestantisch.
Die theuer erkaufte kirchliche Duldung bereitete die Stätte für eine
maßvolle Freiheit, eine besonnene Verwegenheit des Denkens, die unter
der Alleinherrschaft einer Kirche niemals gedeihen kann. Auf solchem
Boden erwuchs, sobald das erschöpfte Volk wieder geniale Naturen zu
ertragen vermochte, unsere neue Wissenschaft und Dichtung, die wirksamste
Literatur der neuen Geschichte, protestantisch von Grund aus und doch
weltlich frei und mild. Sie schenkte der verkümmerten Nation auf's Neue
eine mächtige Sprache, gab ihr die Ideale der Humanität und den
Glauben an sich selbst zurück. Also sind unserem Volke selbst die Nieder—
lagen der Reformation zuletzt zum Segen geworden. Gezwungen, alle
die großen Gegensätze des europäischen Lebens in seinem eigenen Schooße
zu beherbergen, ward Deutschland fähig, sie alle zu verstehen und mit