Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

156 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium 
unterstellt wurden, zeigte sich die einst in einfacheren Verhältnissen so 
schlagfertige Centralbehörde als völlig unzulänglich; jedes Departement 
ging selbständig seines Wegs, es fehlte die Einheit der Leitung. Noch 
immer war dies Beamtenthum der Bureaukratie der deutschen Nachbar- 
staaten weit überlegen, thätig, voll patriotischen Stolzes, hochgebildet, ob- 
gleich da und dort einzelne Präsidenten mit dem Bildungshasse der Gene- 
rale zu wetteifern strebten. Aber die veraltete, zwischen dem Provinzial- 
und dem Realsystem mitteninne stehende Organisation der Behörden 
bewirkte, daß Niemand in Wahrheit Minister war und den Gang der 
Verwaltung übersah. Jedes einfache Geschäft führte zu peinlichen Strei- 
tigkeiten über die Competenz; die Vermehrung der Ministerstellen ver- 
stärkte nur das Uebel. In den alten Beamtenfamilien, die nun seit 
vielen Jahrzehnten dem Staatsdienste angehörten, vererbte sich zwar ein 
lebendiges Gefühl der Standesehre vom Vater auf den Sohn, aber auch 
der Dünkel des grünen Tisches; Neulinge, welche aus der naturfrischen 
Thätigkeit des Landbaus in diese Welt des Bureaus hinübertraten, wie der 
Freiherr vom Stein, bemerkten mit Unwillen, wie das Actenschreiben hier 
zum Selbstzweck zu werden drohte. Eine formenselige Papierthätigkeit 
nahm überhand und konnte durch die salbungsvollen Ermahnungen der 
königlichen Cabinetordres nicht überwunden werden, weil sich der staats- 
männische Kopf nicht fand, der dem Beamtenthum neue positive Aufgaben 
gestellt hätte. Und dazu wieder das leidige Bleigewicht der polnischen 
Provinzen: es blieb doch ein unerträglicher Zustand, daß die regierende 
Klasse aus den weiten Slavenlanden fast gar keinen jungen Nachwuchs 
erhielt. Die Spottrede der Gegner, dies Preußen sei ein künstlicher Staat, 
schien jetzt doch Recht zu behalten. 
Bald nach seiner Thronbesteigung sprach der König gegen den Finanz- 
minister Struensee seine Mißbilligung aus über das unhaltbare Prohibitiv= 
system, das beständig übertreten werde. Erst sieben Jahre nachher gelang 
ihm, die erste Bresche in diese alte Ordnung zu schlagen und durch 
Struensee's Nachfolger Stein die Binnenzölle größtentheils aufzuheben. 
Noch galt die Einrichtung gleichmäßig geordneter Grenzzölle überall in 
der Welt als ein vermessenes Wagniß. Wie hoffnungslos sprach Necker 
in seinem Rechenschaftsberichte von 1781 über die Frage, ob es wohl 
möglich sei die constitution barbare der Provinzialzölle zu beseitigen. Erst 
die Revolution begründete die Zolleinheit Frankreichs. Als man sich jetzt 
in Preußen an die Aufhebung der Binnenzölle heranwagte, erfuhr man 
sofort, daß diese Reform eine halbe Maßregel blieb. Denn noch bestand 
die Accise mit ihren 67 verschiedenen Tarifen; vergeblich mahnte eine 
Cabinetsordre des Königs, in dies Durcheinander endlich Klarheit zu 
bringen. Noch bestand der Gewerbezwang, der die Städte von dem flachen 
Lande schied; nur in der Grafschaft Mark hatte Stein schon gewagt diese
	        
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