8 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
heimgeramscht, den benachbarten weltlichen Fürsten unterworfen würden;
und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik ist der nothwendige
Gedanke der Sercularisation seitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn
aus ihm sprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleich-
gewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches
hemmte, vereitelte auch diese unabweisbare Folge der Reformation. Die
Mehrzahl der geistlichen Fürsten blieb erhalten, und mit ihnen die traum-
haften Herrschaftsansprüche der Sacra Caesarea Majestas, obschon das
deutsche Königthum, das diese römische Krone trug, längst aller Macht
entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten Monarchie längst übergegangen
waren in die Hände der Landesherren.
Zwei Drittel des deutschen Volkes außerhalb der kaiserlichen Erb-
lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürstenhäuser
mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche
Deutschland aber blieb katholisch. Die Altgläubigen behaupteten die
Mehrheit im Kurfürsten= wie im Fürstenrathe, und das Kaiserthum be-
wahrte noch immer seinen halb priesterlichen Charakter. Der Kaiser
wurde durch die Krönung „ein Theilhaber unseres geistlichen Amtes“,
gelobte dem Papste und der Kirche die gebührenden geistlichen Ehren zu
erweisen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholischer Stifter
und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Es ist nicht
anders, unter dieser römischen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich
nicht bestehen. Die erste große politische That der deutschen Lutheraner
war jene Protestation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen
gab; sie erklärte rund heraus, die Evangelischen würden der Mehrheit
im Reiche sich nicht fügen. Und also im Kampfe gegen das Reich, wie
er begonnen, in beständiger Empörung hat sich der Protestantismus auch
fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensschlüsse, dem alten
Kaisereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs schnurstracks zu-
wider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens-
freiheit gegen die Mehrheit des Reichstages zu sichern. Das Corpus
Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anar-
chischer, staatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polnischen
Adelsrepublik.
Nur ein revolutionärer Entschluß, nur die Umwandlung des heiligen
Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten
aus solcher Unwahrheit ihres politischen Lebens; nur eine nationale
Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Wesen eingestand, konnte den
Altgläubigen wie den Evangelischen auf dem Boden des Gesetzes gerecht
werden. Schon den beiden größten Publicisten unseres siebzehnten Jahr-
hunderts drängte sich diese Ueberzeugung auf: der Wortführer der schwe-
dischen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenschaft den
Vernichtungskrieg wider das Kaiserthum; der besonnenere Samuel