Abtretung des linken Rheinufers. 175
des Ackerbaues und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthschaftlichen
Behagens recht aufkommen. Aber allgemein war die Meinung, daß man für
immer zu Frankreich gehöre. Die Rheinländer hatten mit ihrer Geschichte
gebrochen und von ihren alten Ueberlieferungen in die neue Zeit nichts
mit hinübergenommen, als den katholischen Glauben; daher das Gefühl
innerer Verwandtschaft, das sie noch auf lange hinaus mit der neufran—
zösischen Bildung verband. Die alte Ordnung war spurlos vernichtet,
jede Möglichkeit einer Wiederherstellung verloren; bald schwand selbst die
Erinnerung an die Zeiten der Kleinstaaterei. Die Geschichte, die in den
Herzen des aufwachsenden rheinischen Geschlechtes wirklich lebte, begann erst
mit dem Einzuge der Franzosen. Nur vereinzelte tiefere Naturen, wie
Görres und die Gebrüder Beoisseree, erkannten nach und nach den Fluch
aller Fremdherrschaft, die Verdumpfung und Verwüstung des geistigen
Lebens; sie wendeten ihre sehnsüchtigen Blicke den Jahrhunderten des Mittel-
alters zu, da das Rheinland noch ein lebendiges Glied des deutschen Reichs
gewesen, fanden in Schmerz und Reue ihr verlorenes Vaterland wieder.
Die große Mehrzahl nahm das Geschehene hin wie eine unabänderliche
Nothwendigkeit, zumal da die Zustände im Reiche so wenig Grund zur
Sehnsucht boten. Auch drüben auf dem rechten Ufer glaubte Jedermann,
die neue Westgrenze Deutschlands sei für alle Zukunft festgestellt.
Den Reichsgewalten lag nun die Aufgabe ob, das große Entschädi-
gungswerk durchzuführen, das sich aus der Verkleinerung des Reichs er-
gab. Der siebente Artikel des Luneviller Friedens verpflichtete das Reich,
die Erbfürsten des linken Rheinufers im Innern Deutschlands (dans le
sein de I'’Empire) zu entschädigen; die Rastatter Verabredungen sollten
dabei zur Richtschnur dienen. Also wurde die Verweltlichung des heiligen
Reichs, die Vernichtung der geistlichen Staaten dem Reichstage auferlegt
durch das Schwert des fremden Siegers. Was in den Zeiten der schle-
sischen Kriege die Rettung und Verjüngung des deutschen Staates gewesen
wäre, das war jetzt Deutschlands Theilung. Während der verwickelten
Unterhandlungen, die nunmehr zwei Jahre lang zwischen Paris und
Regensburg, Berlin, Petersburg und Wien hin und her spielten, trat
ganz von selber wieder jene Gruppirung der deutschen Parteien hervor,
die sich schon auf dem Rastatter Congresse angekündigt hatte. Der Wiener
Hof blieb noch lange in dem wunderlichen Wahne, Bonaparte werde sich
um die Neugestaltung Deutschlands nicht kümmern, und strebte möglichst
viele von den theokratischen Gewalten des alten Reichs, vor Allen die
geistlichen Kurfürsten zu retten: „nicht das Maß ihres Einkommens,
sondern ihr Dasein ist für die deutsche Verfassung werthvoll“ — hieß es
in einer österreichischen Staatsschrift. Preußen und Baiern dagegen, die
mächtigsten der weltlichen Stände, verfochten das gemeinsame Interesse
der Erbfürsten, die allgemeine Secularisation, und galten daher bei aller
Welt als die Bundesgenossen Frankreichs.