Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Abtretung des linken Rheinufers. 175 
des Ackerbaues und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthschaftlichen 
Behagens recht aufkommen. Aber allgemein war die Meinung, daß man für 
immer zu Frankreich gehöre. Die Rheinländer hatten mit ihrer Geschichte 
gebrochen und von ihren alten Ueberlieferungen in die neue Zeit nichts 
mit hinübergenommen, als den katholischen Glauben; daher das Gefühl 
innerer Verwandtschaft, das sie noch auf lange hinaus mit der neufran— 
zösischen Bildung verband. Die alte Ordnung war spurlos vernichtet, 
jede Möglichkeit einer Wiederherstellung verloren; bald schwand selbst die 
Erinnerung an die Zeiten der Kleinstaaterei. Die Geschichte, die in den 
Herzen des aufwachsenden rheinischen Geschlechtes wirklich lebte, begann erst 
mit dem Einzuge der Franzosen. Nur vereinzelte tiefere Naturen, wie 
Görres und die Gebrüder Beoisseree, erkannten nach und nach den Fluch 
aller Fremdherrschaft, die Verdumpfung und Verwüstung des geistigen 
Lebens; sie wendeten ihre sehnsüchtigen Blicke den Jahrhunderten des Mittel- 
alters zu, da das Rheinland noch ein lebendiges Glied des deutschen Reichs 
gewesen, fanden in Schmerz und Reue ihr verlorenes Vaterland wieder. 
Die große Mehrzahl nahm das Geschehene hin wie eine unabänderliche 
Nothwendigkeit, zumal da die Zustände im Reiche so wenig Grund zur 
Sehnsucht boten. Auch drüben auf dem rechten Ufer glaubte Jedermann, 
die neue Westgrenze Deutschlands sei für alle Zukunft festgestellt. 
Den Reichsgewalten lag nun die Aufgabe ob, das große Entschädi- 
gungswerk durchzuführen, das sich aus der Verkleinerung des Reichs er- 
gab. Der siebente Artikel des Luneviller Friedens verpflichtete das Reich, 
die Erbfürsten des linken Rheinufers im Innern Deutschlands (dans le 
sein de I'’Empire) zu entschädigen; die Rastatter Verabredungen sollten 
dabei zur Richtschnur dienen. Also wurde die Verweltlichung des heiligen 
Reichs, die Vernichtung der geistlichen Staaten dem Reichstage auferlegt 
durch das Schwert des fremden Siegers. Was in den Zeiten der schle- 
sischen Kriege die Rettung und Verjüngung des deutschen Staates gewesen 
wäre, das war jetzt Deutschlands Theilung. Während der verwickelten 
Unterhandlungen, die nunmehr zwei Jahre lang zwischen Paris und 
Regensburg, Berlin, Petersburg und Wien hin und her spielten, trat 
ganz von selber wieder jene Gruppirung der deutschen Parteien hervor, 
die sich schon auf dem Rastatter Congresse angekündigt hatte. Der Wiener 
Hof blieb noch lange in dem wunderlichen Wahne, Bonaparte werde sich 
um die Neugestaltung Deutschlands nicht kümmern, und strebte möglichst 
viele von den theokratischen Gewalten des alten Reichs, vor Allen die 
geistlichen Kurfürsten zu retten: „nicht das Maß ihres Einkommens, 
sondern ihr Dasein ist für die deutsche Verfassung werthvoll“ — hieß es 
in einer österreichischen Staatsschrift. Preußen und Baiern dagegen, die 
mächtigsten der weltlichen Stände, verfochten das gemeinsame Interesse 
der Erbfürsten, die allgemeine Secularisation, und galten daher bei aller 
Welt als die Bundesgenossen Frankreichs.
	        
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