Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

176 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
Trotzdem hat ein rückhaltloses Einvernehmen zwischen dem ersten 
Consul und der Krone Preußen auch damals nie bestanden. Einen Bundes- 
genossen, der die Selbständigkeit einer Großmacht beanspruchte, konnte 
Bonaparte nicht ertragen; das neue „Föderativsystem"“, das er an die 
Stelle der alten Staatengesellschaft zu setzen dachte, bot nur Raum für 
ein herrschendes Frankreich und ohnmächtige Vasallen. Er war der Feind 
jeder unabhängigen Macht, und auch für Preußen empfand er niemals 
aufrichtiges Wohlwollen. Dem Leben Bonaparte's fehlte jede Entwicklung; 
er hat nicht, wie die echten Helden der Geschichte, gelernt von dem Wandel 
der Zeiten, sondern ungerührt und unbelehrt bis zum Ende gearbeitet an 
der Verwirklichung eines weltumspannenden Planes, der ihm von Haus 
aus fest stand. Darum erscheint er am größten in der Zeit des Consulats, 
als diese mächtigen Gedanken sich zum ersten male enthüllten. In vier 
Nachbarlanden zugleich trat er jetzt als Friedensvermittler und Organisator 
auf. In der Schweiz warf er das willkürliche Gebilde des Einheitsstaates. 
über den Haufen und gab den Eidgenossen eine verständige Bundesver- 
fassung, denn „die Natur selbst hat Euch zum Staatenbunde bestimmt, 
die Natur zu bezwingen versucht kein vernünftiger Mann“. Mit dem- 
selben durchdringenden Scharfblick erkannte er, daß in Holland die bün- 
dischen Staatsformen sich überlebt hatten; er ließ den batavischen Einheits- 
staat bestehen und legte ihm eine Verfassung auf, welche den Uebergang 
zur Monarchie erleichterte. Den Italienern erweckte er eine Welt glän- 
zender Erinnerungen und Erwartungen, indem er den alten Namen des 
Landes wieder zu Ehren brachte und den Vasallenstaat am Po zur italie- 
nischen Republik erhob, auch hier wurde die Monarchie und die verhüllte 
Fremdherrschaft umsichtig vorbereitet. Für seine deutsche Politik endlich 
hatte er längst den Weg vorgezeichnet, der zur Vernichtung des deutschen 
Namens führen sollte. Nie ward ein unmöglicher Plan mit schlauerer 
Berechnung ersonnen, mit heißerer Thatkraft in's Werk gesetzt. 
Wenn der erste Consul in Reden und Staatsschriften das deutsche 
Reich als unentbehrlich für das europäische Gleichgewicht bezeichnete, so 
meinte er damit nur die Anarchie der deutschen Kleinstaaterei, keineswegs 
die theokratischen Formen der Reichsverfassung. Die karolingischen Tra- 
ditionen des heiligen Reichs standen den Weltherrschaftsplänen des Corsen 
ebenso feindlich im Wege, wie die mittelalterlichen Institutionen des alten 
Deutschlands dem demokratisch-modernen Charakter der neuen Tyrannis 
widersprachen. Die deutsche Verfassung war, wie der Moniteur sich aus- 
drückte, „der Mittelpunkt aller feudalen Vorurtheile Europas“ und zu- 
gleich eine Stütze der österreichischen Macht. Der Wiener Hof aber galt 
in Paris nächst England als der bitterste Feind der Revolution; die Zer- 
trümmerung seiner deutschen Machtstellung war dort längst beschlossene 
Sache. Schon im Sommer 1800 mußten Talleyrand's Lohnschreiber den 
„Brief eines deutschen Patrioten“ ausarbeiten, ein erstes Probestück jener
	        
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