Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

178 I. 2. Revolution und Fremdbherrschaft. 
allein von Frankreichs Gnaden lebten; wenn er die Satrapen dann zu 
frechen Kriegen gegen das Vaterland, von einer Felonie zur andern führte 
und neuen Schergendienst durch neue Beute belohnte, so hatten sie ihm 
ihre Seele verschrieben, und er durfte darauf rechnen, daß sie lieber dem 
Fremden die Schuhe küssen als jemals freiwillig einem deutschen Gemein- 
wesen sich unterordnen würden. Er war nicht der Mann seinen Schütz- 
lingen die Schuld der Dankbarkeit zu erlassen. „Frankreich", so schrieb 
er dem Kurfürsten von Baiern, „und Frankreich allein kann Sie auf der 
Höhe Ihrer Macht erhalten;" und nochmals: „von uns allein hat Baiern 
seine Vergrößerung, und nur bei uns kann es Schutz finden.“ 
Insoweit erscheint Bonaparte's deutsche Politik nur als eine großartige 
Weiterbildung der altfranzösischen Staatskunst, die seit dem zweiten und 
dem vierten Heinrich beständig nach der Schirmherrschaft über die deutschen 
Kleinstaaten getrachtet hatte; das verführerische Wort Souveränität, das 
die Diplomaten Frankreichs einst beim Westphälischen Friedensschlusse zuerst 
auf die deutsche Landeshoheit angewendet hatten, tauchte jetzt in den Staats- 
schriften des ersten Consuls wieder auf. Aber die Gedanken des Rastlosen 
schweiften schon weit über diese Ziele hinaus: war erst Westdeutschland 
unterworfen, so sollten auch Oesterreich und Preußen gebändigt werden. 
Bonaparte's Freundschaft für Preußen war niemals mehr als ein ver- 
schlagenes diplomatisches Spiel. Obgleich er gegen die ängstliche Politik des 
Berliner Hofes eine tiefe und wohlberechtigte Verachtung hegte, so theilte 
er doch in jenen Jahren den Irrthum aller Welt und überschätzte die Macht 
Preußens; für die unerschöpflichen sittlichen Kräfte, welche in dem erstarrten 
Staate schlummerten, hatte der Verächter der Ideologen freilich kein Auge, 
er wußte aber sehr wohl, was der preußische Soldat in den Rheinfeldzügen 
geleistet hatte, und war über den fortschreitenden Verfall des fridericiani- 
schen Heeres nicht genugsam unterrichtet. Den Kampf mit einem solchen 
Gegner wollte er nur unter günstigen Umständen und mit der Hilfe des 
gesammten übrigen Deutschlands aufnehmen. Für jetzt konnte er Preußens 
Mitwirkung noch nicht missen. Während des Krieges hatte er mehr- 
mals gehofft, durch die Vermittelung der friedfertigsten der Großmächte 
zum allgemeinen Frieden zu gelangen, und nachher das erwachende Miß- 
trauen des Berliner Hofes durch unbestimmte Zusagen hingehalten. Nach 
dem Frieden betrachtete er die Zertrümmerung der österreichischen Partei 
im Reiche als seine nächste Aufgabe; dazu war die Hilfe des alten Neben- 
buhlers der Lothringer unentbehrlich. Die Briefe des ersten Consuls an 
den jungen König flossen über von zärtlichen Betheuerungen: wie jeder 
Wunsch des königlichen Freundes für das französische Cabinet ein Befehl 
sei, und wie sie Beide, der Nachfolger und der Bewunderer Friedrich's, 
selbander in den Fußtapfen des großen Königs weiter wandeln wollten. 
Eine reichliche Entschädigung ließ sich dem mächtigsten der weltlichen Reichs- 
stände nicht abschlagen; nur jede Verstärkung der preußischen Partei im
	        
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