Der Reichsdeputationshauptschluß. 187
Germanique. Dies lockere Nebeneinander weltlicher Fürstenthümer wurde
vorderhand fast allein durch den Namen Deutschland zusammengehalten,
und in der nächsten Zukunft .ließ sich eher die Auflösung des deutschen
Gemeinwesens als seine föderative Neugestaltung erwarten. Aber mit
den theokratischen Formen war auch jener Geist der starren Unbeweglich—
keit entschwunden, der bisher die politischen Kräfte der Nation gebunden
hielt. Das neue weltliche Deutschland war der Bewegung, der Ent—
wicklung fähig; und gelang dereinst die Befreiung von der Vormundschaft
des Auslands, so konnte sich auf dem Boden des weltlichen Territoria—
lismus vielleicht ein nationaler Gesammtstaat bilden, der minder verlogen
war als das heilige Reich.
Durch die Secularisationen wurde auch jene künstliche Stimmen—
vertheilung beseitigt, welche dem Katholicismus bisher ein unbilliges
Uebergewicht in der Reichsversammlung verschafft hatte. Die Mehrheit
des Reichstags war nunmehr evangelisch, wie die Mehrheit der deutschen
Nation außerhalb Oesterreichs. In den Kurfürstenrath traten für Köln
und Trier die neuen Kurfürsten von Salzburg, Württemberg, Baden
und Hessen ein; er zählte sechs protestantische Stimmen unter zehn. Die
noch übrigen Mitglieder des Collegiums der Reichsstädte waren, bis auf
das paritätische Augsburg, allesammt protestantisch. Im Fürstenrathe
verblieben noch dreiundfünfzig evangelische neben neunundzwanzig katho-
lischen Ständen. Als die neuen Herren der secularisirten Lande, dem
Reichsrechte gemäß, auch die Stimmen der entthronten Stände für sich
beanspruchten, da entspann sich der letzte große Streit im Schooße der
Regensburger Versammlung. Sein Verlauf bekundete den starken Um-
schwung der Meinungen wie die radicale Veränderung der alten Macht-
verhältnisse im Reiche. Einst hatten die Protestanten durch den Sonder-
bund des Corpus Evangelicorum sich decken müssen gegen die Ueber-
griffe der katholischen Mehrheit; jetzt berief sich der Kaiser im Namen
der Katholiken auf den Grundsatz der Parität und forderte für seine
Glaubensgenossen so viele neue Stimmen, bis die Gleichheit hergestellt
sei. Doch die Zeitgenossen Kant's waren der Gehässigkeit der Religions-
kriege entwachsen. Die große Mehrheit des Reichstags, Preußen und
Baiern voran, wollte nicht zugeben, daß das Wesen der Parität in der
Gleichheit der Kopfzahl zu suchen sei; ja man sprach es offen aus, der
alte Unterschied von katholischen und protestantischen Stimmen habe seinen
Sinn verloren, wenn nur erst in jedem deutschen Staate „ein vernünf-
tiges Toleranzsystem“ bestünde. Kaiser Franz hingegen dachte die Macht
der österreichischen Partei um jeden Preis wiederherzustellen; er ge-
brauchte, der Verfassung zuwider, zum letzten male das höchste Recht
der kaiserlichen Majestät, er legte sein Veto ein, und der Streit blieb
ungeschlichtet bis das Reich sich förmlich auflöste. Ein parteiischer Miß-
brauch der Rechte der Krone zum Besten des Hauses Oesterreich und