330 I. 3. Preußens Erhebung.
der Wille freier Menschen ist gegründet“ — und bezeichhete sodann in
großen Zügen was Noth thue: vor Allem die Aufhebung der gutsherr-
lichen Gewalt und die Einführung der Reichsstände — „jeder active
Staatsbürger habe ein Recht zur Repräsentation.“ Stein unterzeichnete
ungern, er liebte weder die großen Worte noch die unbestimmten Allge-
meinheiten. Doch grade die doctrinäre Fassung dieses Actenstücks gefiel
nachher einem Zeitalter der liberalen Systemsucht; während die Welt die
eigensten Ideen des großen Reformers, die Gedanken der Selbstverwal-
tung, geringschätzte und fast vergaß, blieb dies sein sogenanntes politisches
Testament hoch in Ehren als das Programm der constitutionellen Par-
teien. Der Scheidende nahm mit sich den Dank seines Königs, daß er
„den ersten Grund, die ersten Impulse zu einer erneuten, besseren und
kräftigeren Organisation des in Trümmern liegenden Staatsgebäudes ge-
legt habe“; er vertraute, die Hebung der niederen Klassen und die neuen
freieren Ideen würden bleiben und sich entwickeln.
Stein's Fall war ein schlechthin unersetzlicher Verlust für Preußens
inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieses
Schlages empfunden. Und doch lag eine tragische Nothwendigkeit in dem
tückischen Zufall, der jenen verhängnißvollen Brief in Napoleon's Hände
spielte. Es war unter allen Heimsuchungen, womit Preußen vergangene
Sünden büßte, vielleicht die schwerste, daß die Monarchie einen Staats-
mann von so rückhaltlosem Freimuth jetzt nicht mehr zu ertragen ver-
mochte. Dieser vulkanische Geist konnte seine vaterländischen Hoffnungen
nicht auf die Dauer schweigsam in sich verschließen — das war sein
Charakter und also sein Schicksal; er konnte das verdeckte diplomatische
Spiel, dessen der Staat bedurfte, nicht mit behutsamer List durchführen
und mußte früher oder später dem lauernden Gegner erliegen. Der
Sturz des Ministers genügte der Rachsucht Napoleon's noch nicht. Am
16. December wurde durch ein kaiserliches Decret aus Madrid le nommé
Stein als ein Feind Frankreichs und des Rheinbundes geächtet und seine
Güter eingezogen. „Sie gehören nun der Geschichte an,“ rief Gneisenau
dem Verbannten zu. Die Nation wußte jetzt, wen unter den Deutschen
der Imperator am bittersten haßte. Stein ertrug den Verlust mit ge-
lassener Hoheit; ich habe, meinte er nachher gleichmüthig, mehrmals im
Leben mein Gepäck verloren. Als er einsam in der Winternacht durch
das Riesengebirge fuhr, den schützenden Grenzen Oesterreichs entgegen,
da erhob er sich die Seele an den Trostworten der Schleiermacher'schen
Predigt: was der Mensch zu fürchten habe? Unwandelbar fest stand
ihm der fromme Glaube, daß Gott diese Herrschaft der Gewalt und der
Lüge nicht dulden könne.
In Oesterreich aber wußte man mit einer solchen Kraft nichts an-
zufangen. Kaiser Franz glaubte der französischen Polizei willig alle die
finsteren Märchen von den Umsturzplänen der Tugendbündler, ließ den