Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Ministerium Altenstein-Dohna. 333 
zäher ihre alten Vorrechte fest; wiederholt mußte die kurmärkische Regierung 
gegen die Magistrate von Berlin und Potsdam einschreiten, wenn diese die 
halb vergessenen alten Strafmandate gegen Pfuscher und Auswärtige wieder 
anzuwenden versuchten. Aber der neue Minister verstand auch nicht einmal 
jenen Sinn für das Detail der Geschäfte zu benutzen, den er selber seinen 
Landsleuten nachrühmte. Für die Beseitigung der gutsherrlichen Polizei 
geschah gar nichts; und statt den fertigen Entwurf der Landgemeinde— 
Ordnung entschlossen in's Werk zu setzen ließ man neue Pläne ausar— 
beiten, die einander in kühnen Vorschlägen überboten und schließlich alle— 
sammt liegen blieben. Auch der Justizminister Beyme, der neuerdings 
ganz im Sinne der Reformpartei zu reden pflegte, brachte nichts weiter 
zu Stande, als daß er den alten Unterschied der adlichen und der ge— 
lehrten Bank in den obersten Gerichtshöfen endlich aufhob; an die Patri— 
monialgerichte wagte er sich nicht heran, trotz der Mahnung des Königs. 
Und wie konnte vollends der ängstliche, stillfleißige Gelehrte Altenstein 
Ordnung bringen in das Chaos der Finanzen? Er sollte außer den ordent- 
lichen Staatsausgaben monatlich 4 Mill. Fr. von der Contribution ab- 
zahlen, dazu die Schulden der letzten zwei Jahre, deren Höhe man noch 
gar nicht recht übersah, verzinsen, endlich Napoleon's Truppen in den 
Oderfestungen versorgen. Und der unversöhnliche Feind fand der Miß- 
handlungen noch immer kein Ende: die Garnisonen in den Oderplätzen 
waren weit stärker als im Vertrage ausbedungen worden und erzwangen 
auf Befehl des Imperators eine Reihe völlig widerrechtlicher Leistungen 
und Lieferungen, so daß dem Lande in den drei Jahren nach dem Abzuge 
der großen Armee noch 10¾ Mill. Fr. vertragswidrig abgepreßt wurden.“) 
Die Monarchie konnte, wie einst Frankreich vor dem Ausbruch der Re- 
volution, dem Bankrott nur entgehen, wenn eine radicale Umgestaltung 
des gesammten Finanzwesens die Steuerkraft der höheren Stände zu den 
Staatslasten heranzog. Altenstein aber befürchtete, daß neue Steuern 
das verarmte Volk erdrücken würden. Er suchte zu helfen durch einige 
Domänen-Verkäufe, durch eine freiwillige Zwangsanleihe, durch einen 
hohen Stempel auf Juwelen, Gold= und Silbergeräthe. Alles umsonst; 
und so oft man im Auslande ein Anlehen abzuschließen dachte, wurden 
die Versuche der preußischen Agenten durch die Diplomatie Napoleon's 
durchkreuzt. Der Finanzminister erklärte endlich verzweifelnd im Namen 
seiner Amtsgenossen, so lange diese Bedrängniß des Staatshaushaltes 
währe sei an innere Reformen nicht zu denken. Die Regierung gerieth 
allmählich wieder in denselben Zustand wohlwollender Unthätigkeit, wie 
vor der Jenaer Schlacht; und der Stillstand war jetzt um Vieles gefähr- 
licher, zumal da neuerdings eine verhängnißvolle Unsitte einriß, die nach- 
  
*) Nach der Rechnung des Finanzministeriums, welche W. von Humboldt im 
Frühjahr 1814 zu Paris den Großmächten überreichte. (Humboldt's Bericht an Harden- 
berg, 20. Mai 1814.)
	        
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