334 I. 3. Preußens Erhebung.
her unter Hardenberg's Regimente noch zunahm. Während früherhin der
Gesetzgeber, wie seines Amtes ist, einfach befohlen hatte, wurde es in den
neuen Gesetzen üblich, allerhand Reformen für die Zukunft in Aussicht
zu stellen, Versprechen zu geben, deren Tragweite Niemand übersah; um
so schlimmer nachher die Enttäuschung, wenn man die Verheißungen
nicht halten konnte.
Nur in zwei Zweigen der Verwaltung blieb der große Sinn der
Stein'schen Tage noch lebendig: in der Armee und im Unterrichtswesen.
Die Wiederherstellung des Heeres schritt unter Scharnhorst's Leitung rüstig
fort, und das Ministerium ließ den unermüdlichen Organisator gewähren.
Als er aber endlich mit seinen letzten und liebsten Gedanken heraustrat
und im Februar 1810 ein Conseriptions-Gesetz vorlegte, das jeden vom
Loose Getroffenen ohne Unterschied zum persönlichen Dienste verpflichtete,
da entspann sich im Schooße der Regierung ein denkwürdiger Streit um
die Grundgedanken der modernen deutschen Heeresverfassung. Dort der
alte ehrenwerthe Eifer des Civilbeamtenthums für die Schonung der volks-
wirthschaftlichen Kräfte; hier ein großherziger politischer Idealismus, der die
sittliche Bedeutung des Heerwesens höher anschlug als nationalökonomische
Bedenken. Der Finanzminister fürchtete, die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht werde eine massenhafte Auswanderung veranlassen, und wollte
nicht begreifen, was der Eintritt gebildeter junger Männer in die Reihen
der Mannschaft nützen solle, da doch die kräftigen Leute aus den niederen
Klassen die besten Soldaten abgäben. Die Offiziere hingegen, Scharn-
horst, Boyen, Hake, Rauch, beriefen sich auf den im Allgemeinen Land-
recht anerkannten Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze; sie fanden
es ungerecht, daß der Unbemittelte zugleich Steuern zahlen und doch
allein die Last des Waffendienstes tragen solle; sie erinnerten an die Ar-
muth jener beiden Klassen, welche für den preußischen Staat das Größte
leisteten, des Adels und des Beamtenthums; ja sie wagten zu behaupten
was damals noch als eine Ketzerei erschien: die gebildete Jugend stelle
die brauchbarsten Soldaten, denn sie bringe eine sittliche Kraft, das Princip
der Ehre, in das Heer, während die ärmeren Klassen nur selten eine
dauernde Anhänglichkeit an das Vaterland haben könnten. In Frankreich,
erklärte Scharnhorst, habe die Stellvertretung einen unsittlichen Seelen-
handel hervorgerufen; bei dem mannhaften Römervolke dagegen sei der
Waffendienst ein Ehrenrecht der höheren Stände gewesen. Weder das
Ministerium Dohna-Altenstein noch späterhin Hardenberg vermochte sich
zu dieser ethischen Auffassung des Kriegswesens, welche Stein's vollen
Beifall fand, zu erheben, und überdies war die Einstellung aller Wehr-
fähigen unmöglich so lange der Staat nur 42,000 Mann Truppen halten
durfte. Der große Plan blieb liegen bis zu der guten Stunde, da der
Krieg erklärt und die Fesseln des September-Vertrags gesprengt wurden.
Unterdessen war Wilhelm von Humboldt an die Spitze des Unter-