Baiern. 357
weislich, den Dünkel seiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre
Landesverwaltung zu reizen. Von selbst verstand sich, daß seine Gesandten
vor den Prinzen der Vasallenstaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte
er neue Truppen, so ließ er sich die Einnahmebudgets seiner Könige und
Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entschied nach Gefallen. Auch
hielt er als Schirmvogt der römischen Kirche streng darauf, daß die
Katholiken im Staatsdienste nicht zu kurz kamen, und befahl überall
wachsame Beaufsichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem
Adel. Im Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungestört schalten.
Am stärksten und nachhaltigsten wirkte die bonapartistische Völkerbe—
glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutschlands hat während der
jüngsten drei Menschenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un—
heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli—
schen Lehre eigenmächtig verschlossen und dadurch die kirchlich-politische
Spaltung der deutschen Nation begründeten, war der tapfere und treue,
an rüstiger Kraft des Leibes und des Willens den besten Deutschen eben—
bürtige altbairische Stamm dem geistigen Leben dieses paritätischen Volkes
fast so fremd geworden wie die Oesterreicher. Am Schlusse des alten Jahr—
hunderts lebten in München drei Protestanten, die amtlich als Katholiken
galten und zum Abendmahl nach Augsburg hinüberfuhren.“) Auf Schritt
und Tritt begegnete der Wanderer den Erinnerungen des streitbaren Katho—
licismus; zu den Füßen der Mariensäule auf dem Schrannenplatze stand
der Genius, der den Drachen der Ketzerei zerschmettert. Das Volk glaubte
fest, ein Protestant sehe ganz anders aus als ehrliche Christenmenschen;
in den Fastnachtszügen der Bauern erschien der Luther mit seiner Kathi
neben dem bairischen Hiesel und dem Schinderhannes; noch während der
napoleonischen Feldzüge ließ ein altbairisches Bataillon ein Bild des heiligen
Petrus Spießruthen laufen, weil der Heilige seiner Herde das erbetene
gute Marschwetter versagt hatte. Die gesammte neue Literatur war „luthe—
risch deutsch“, blieb diesen Hinterwäldlern verpönt und unbekannt.
Welch ein Umschwung nun, als plötzlich ein ganzes Bündel evange—
lischer Territorien mit dem gelobten Lande der Klöster und der geistlichen
Schulen zusammengeschweißt wurde und gleichzeitig die Dynastie Zwei—
brücken ihren Einzug hielt — jene Nebenlinie des Hauses Wittelsbach,
die zwar wieder zur römischen Kirche zurückgekehrt, aber durch ihre schwe-
disch-protestantischen Traditionen und durch langjährigen Familienzwist
mit der bigotten älteren Linie tief verfeindet war. Für große, schöpferische
politische Ideen freilich blieb die flache, gedankenlose Gutmüthigkeit des neuen
Königs Max Joseph ebenso unzugänglich wie die bureaukratische Härte
und Herrschsucht seines Ministers Montgelas. Niemand verfiel auf den so
naheliegenden Gedanken, den Schwerpunkt des jungen Königreichs in einen
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen des bair. Oberconsistorialraths v. Schmitt,
die mir sein Sohn, Herr Pfarrer Schmitt in Heidelberg mitgetheilt hat.