Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Hardenberg. 367 
Hardenberg hatte zuerst im welfischen Staatsdienste, nachher in 
Franken jahrelang eine schwierige Landesverwaltung geleitet; sobald es 
ihm behagte sich um die Geschäfte zu bekümmern, fand er sich rasch auf 
den entlegensten Gebieten zurecht. Er arbeitete erstaunlich leicht; seine 
Entscheidungen, die er mit klaren, eleganten Schriftzügen, in gewandtem, 
durchaus modernem Deutsch an den Rand der Acten schrieb, trafen immer 
den Nagel auf den Kopf. Doch jene liebevolle Freude am Detail, die 
den großen Verwaltungsbeamten macht, hat er sich nie angeeignet; er 
gefiel sich in einem vornehmen Dilettantismus. Die laufenden Geschäfte 
überließ er gern den aufgeklärten jungen Beamten, die er sich in Franken 
herangezogen; die Finanzfragen behandelte er im häuslichen wie im öffent— 
lichen Leben mit der Gleichgültigkeit des vornehmen Herrn. Seine Stärke 
war die diplomatische Thätigkeit. Wenige verstanden wie er, mit sicherem 
Blicke den rechten Augenblick abzuwarten, in der peinlichsten Lage findig 
und hoffnungsvoll immer einen neuen Ausweg zu entdecken, in allen 
Windungen und Wendungen einer finassirenden Politik unverrückt dasselbe 
Ziel im Auge zu behalten. Selbst in diesem seinem eigensten Berufe be— 
irrte ihn freilich oft ein bequemer Leichtsinn, eine gutherzige Großmuth, 
die es nicht der Mühe werth hielt mit pedantischer Genauigkeit unerläß— 
liche Forderungen festzuhalten. Schwer hatte er sich einst versündigt durch 
sein Vertrauen auf Frankreichs Freundschaft. Jetzt durch eine grausame 
Erfahrung von den alten Täuschungen gründlich geheilt, richtete er all 
sein Dichten und Trachten auf den Kampf der Befreiung. Wie oft hat 
er dem Grafen St. Marsan in's Gesicht gesagt, daß Preußen entschlossen 
sei mit dem Degen in der Hand zu siegen oder zu fallen. Aber nur im 
günstigen Augenblicke, nach genügender diplomatischer Vorbereitung durfte 
der verzweifelte Krieg gewagt werden. Hardenberg war hochherzig genug, 
jahrelang „eine ungeheure Verkennung“ von Seiten der Besten der Nation 
schweigend zu ertragen; und, fügte er mit gerechtem Selbstgefühle hinzu, 
„dazu gehört mehr Muth als um einer Batterie entgegenzugehen.“ 
Er war ein Preuße vom Wirbel bis zur Zehe; weit tiefer als Stein 
hatte er sich mit der Staatsgesinnung seines selbstgewählten Vaterlandes 
erfüllt. Auch in den Tagen seiner napoleonischen Träume blieb Preußens 
Größe sein höchstes Ziel, und ohne jedes Bedenken rieth er zur Einver- 
leibung seiner welfischen Heimathlande, weil sie für Preußen unentbehrlich 
seien. So innig er auch sein großes Vaterland liebte, mit der idealen 
Größe des deutschen Volksgeistes wollte er den Kampf gegen die harte 
Wirklichkeit des napoleonischen Reichs nicht beginnen; alle phantastische 
Deutschthümelei lag seiner Besonnenheit fern. Er rechnete, ruhiger als 
Stein, immer nur mit diesem gegebenen preußischen Staate; nur ein 
Bund dieser Monarchie mit Oesterreich, das stand ihm fest seit den 
Bartensteiner Tagen, konnte das Weltreich zerschmettern. 
In Braunschweig, in Franken und nachher als Cabinetsminister
	        
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