Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Gewerbefreiheit. Agrargesetze. 377 
Land, auch zu den akademischen, den Schul- und Gemeindeämtern zu— 
gelassen. Unter den Jammerrufen der Feudalen geschah nun die große 
Umtaufung der preußischen Judenschaft. Die Levi, Cohn und Jacobsohn 
behielten ihre semitischen Namen bei, die Wolf und Kuh begnügten sich 
mit den Spottnamen, welche ihnen der grausame Volkshumor der Ger- 
manen angehängt, die Zwickauer und Bamberger nannten sich einfach 
nach ihrer Heimath; jene sinnige Naturen aber, die der sanfte Hauch 
dieser sentimentalen Epoche angeweht hatte, wählten holdere Namen um 
die Schönheit der Seele getreulich auszudrücken, also daß die Thüren 
unserer Börsen noch heute von Blümchen, Veilchen, Nelken und Rosen- 
zweigen dicht umrankt sind. 
In diesen nothwendigen socialen Neuerungen lag die Größe der 
Hardenbergischen Reformen. In seinen Finanzmaßregeln dagegen blieb 
er nach wie vor unglücklich. Den Verkauf der Domänen betrieb er mit 
lebhaftem Eifer, theils weil er baarer Mittel bedurfte, theils weil ihn 
seine doctrinären Rathgeber von der Verwerflichkeit alles Staatsgrund- 
besitzes überzeugt hatten: in Absicht der Domänen, schrieb F. von Raumer 
kurzab, ist von den Briten nur zu lernen, daß man keine haben mußl 
Doch woher sollten die Käufer kommen in dem verarmten Lande? Nach 
fünftehalb Jahren, bis zum Juni 1813 waren für verkaufte Staatsgüter 
nur 786,000 Thlr. baar eingegangen, dazu über 6⅛ Mill. in werth- 
losen Papieren. Da auch die Consumtionssteuer wenig einbrachte und bald 
zum Theil wieder zurückgenommen wurde, so konnte Hardenberg, der mit 
so hoffnungsvollen Finanzplänen begonnen, von der französischen Schuld 
nicht mehr abtragen als sein schwerfälliger Vorgänger Altenstein: im April 
1811 war noch fast die Hälfte der Contribution, etwa 59 Mill. Fr. 
ungetilgt. Die neuen schweren Kriegslasten des Jahres 1812 nöthigten 
den Staatskanzler endlich — gegen seine theoretischen Ueberzeugungen — 
eine harte Vermögens= und Einkommensteuer auszuschreiben, die vom 
Vermögen 3 Procent, vom Einkommen 1 bis 5 Procent in Anspruch 
nahm. Aber auch diesmal hatte er die trostlose wirthschaftliche Erschöpfung 
des Landes nicht richtig geschätzt. Das Edict mußte schon nach wenigen 
Wochen für Altpreußen außer Kraft gesetzt werden, da diese Provinz durch 
den Marsch der großen Armee völlig ausgesogen wurde, und statt der ge- 
hofften 25 Mill. Thlr. kamen nur 4½ Mill. ein, davon 4 Mill. baar. 
Obgleich die socialen Reformen Hardenberg's nur durch den Willen 
des absoluten Königthums durchgesetzt werden konnten, so war die Krone 
doch nicht in der Lage, auf den Beistand popularer Kräfte ganz zu ver- 
zichten. Sie hatte bereits im October 1810, in dem verheißungsreichen 
Edict über die Finanzen, versprochen, daß eine durch Repräsentanten der 
Communen und Provinzen verstärkte General-Commission über die Re- 
gulirung der Kriegsschulden berathen solle. Die Landesdeputirten, nament- 
lich die Vertreter des Bürger= und Bauernstandes verlangten lebhaft die
	        
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