Der neue Mehrer des Reichs. 33
So erwies sich die neue Staatsbildung schon in ihren Anfängen
als eine europäische Nothwendigkeit. Deutschland aber fand endlich wieder
einen Mehrer des Reichs. Mit dem Aufsteigen Preußens begann die
lange blutige Arbeit der Befreiung Deutschlands von fremder Herrschaft.
Seit hundert Jahren von den Nachbarn beraubt sah das Reich jetzt zum
ersten male das ausländische Regiment von einigen Schollen deutscher
Erde zurückweichen. In diesem einen Staate erwachte wieder, noch halb
bewußtlos, wie trunken vom langen Schlummer, der alte herzhafte vater-
ländische Stolt. Das treue Landvolk der Grafschaft Mark begann den
kleinen Krieg gegen die Franzosen, die Bauern von Ostpreußen setzten
in wilder Jagd den fliehenden Schweden nach. Wenn die Bauernland-
wehr der Altmark, an den Elbdeichen Wache haltend wider die Schweden,
auf ihre Fahnen schrieb: „Wir sind Bauern von geringem Gut und
dienen unserm gnädigsten Kurfürsten und Herrn mit Gut und Blut,-"
so klingt uns aus den ungelenken Worten schon derselbe Heldensinn
entgegen, welcher dereinst in freieren Tagen Deutschlands Schlachten
schlagen sollte unter dem Rufe: „Mit Gott für König und Vaterland!“
Während die Hausmacht der Habsburger aus Deutschland hinaus
wuchs, drängte ein stetig waltendes Schicksal den Staat der Hohen-
zollern tief und tiefer in das deutsche Leben hinein, zuweilen wider den
Willen seiner Herrscher. Friedrich Wilhelm hat es nie verwunden, daß
er seine pommerschen Erbansprüche im Westphälischen Frieden gegen den
Widerstand Oesterreichs und Schwedens nicht behaupten konnte. Er
hoffte als ein König der Vandalen von dem Stettiner Hafen aus die
Ostsee zu beherrschen und mußte sich mit den sächsisch-westphälischen
Stiftslanden, zum Ersatz für die Odermündungen, begnügen. Doch
selbst diese diplomatische Niederlage ward ein Glück für den Staat; sie
bewahrte ihn vor einem halbdeutschen baltischen Sonderleben, verstärkte
seine centrale Stellung und zwang ihn theilzunehmen an allen Händeln
der binnendeutschen Politik. Zudem war ganz Norddeutschland über-
sponnen von einem Netze hohenzollerscher Erbverträge, die dies bedacht-
sam rechnende Haus im Laufe der Jahrhunderte abgeschlossen; an jedem
neuen Tage konnte ein Todesfall der ehrgeizigen Macht eine neue Ver-
größerung bringen.
Das Haus Habsburg erkannte früher als die Hohenzollern selber,
wie feindselig dieser moderne norddeutsche Staat der alten Verfassung
des heiligen Reichs gegenüberstand. Es war das Haupt des Protestan-
tismus im Reiche, mochte immerhin Kursachsen noch Director des Corbus
Evangelicorum heißen; er bedrohte mit seiner monarchischen Ordnung
den ganzen Bau jener ständischen und theokratischen Institutionen, welche
die Kaiserkrone stützten; ein starkes Heer und sein selbständiges Auf-
treten in der Staatengesellschaft gefährdeten das altgewohnte System
kaiserlicher Hauspolitik. In Schlesien, in Pommern, in dem jülich-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 3