Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

420 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
städte aufgenommen, die baare Bezahlung aller Lieferungen mit russischem 
Papiergelde befohlen. 
Zugleich verhandelte Stein mit York, Schön und den Provinzial- 
behörden über die Anstalten zur Volksbewaffnung; Clausewitz, der mit 
seinen Russen im Lande stand, erhielt Befehl, den Entwurf eines Land- 
wehrgesetzes auszuarbeiten. Ein Landtag wurde ausgeschrieben — oder 
vielmehr nur eine formlose „Versammlung“ der ständischen Deputirten, 
da der gewissenhafte Präsident Auerswald Bedenken trug, in die Rechte 
der Krone einzugreifen. Schön lehnte behutsam den Vorsitz ab. Am 
5. Februar begannen jene anspruchslosen und doch so folgenschweren Ver- 
handlungen des Königsberger Landtags, mit denen die Colonie des deut- 
schen Mittelalters dem großen Vaterlande die Schuld des Dankes hoch- 
herzig heimzahlte. Kurz und gut, nach alter Preußenweise ohne Redeprunk 
und Lärm, ward das Nothwendige beschlossen. Graf Alexander Dohna war 
der Führer des Adels: der würdige Mann mochte jetzt an sich selber und 
seiner Provinz lernen, wie schwer er einst geirrt, da er als Minister seinen 
Landsleuten die Fähigkeit zum constitutionellen Leben absprach. An der 
Spitze der Bürgerlichen stand der Königsberger Bürgermeister Heidemann. 
Vork selbst erschien und legte einem Ausschusse der Stände das Landwehr- 
gesetz vor, das der Lieblingsschüler Scharnhorst's, selbstverständlich ganz 
nach den Ideen des Meisters, im Wesentlichen übereinstimmend mit den 
Plänen von 1811, entworfen hatte; und so geschah das Seltsame, daß 
die Ostpreußen eigenmächtig die nämlichen Gedanken vorausnahmen, welche 
Scharnhorst um dieselbe Zeit in Breslau für den König niederschrieb. 
Nicht in Allem freilich konnten diese wohlmeinenden Vertreter der bürger- 
lichen Interessen an die kühnen Entwürfe des militärischen Organisators 
hinanreichen. Auf den Wunsch der Städte gestattete der Landtag die 
Stellvertretung, während gleichzeitig in Breslau die Aufhebung aller Be- 
freinngen von der Wehrpflicht ausgesprochen wurde. Auch sollte die ost- 
preußische Landwehr nur eine Provinzialarmee sein, ausschließlich zur un- 
mittelbaren Vertheidigung der Lande diesseits der Weichsel verpflichtet; die 
Bataillonsführer mußten in der Provinz angesessen sein, eine ständische 
Generalcommission übernahm die Leitung der gesammten Rüstungen. 
Ueberhaupt war Scharnhorst's Ansicht, daß die Armee das Volk in 
Waffen, eine regelmäßige Schule der Nation sein solle, noch durchaus 
nicht in die öffentliche Meinung eingedrungen. In diesen Krieg, aber 
auch nur in diesen sollten alle Wehrfähigen hinausziehen, denn er war 
heilig, er galt allen höchsten Gütern des Lebens; nach dem Siege jedoch 
— das war die natürliche Hoffnung jenes an endlosen Kriegen verekelten 
Geschlechtes — mußte die Nation durch eine wesentliche Verringerung 
des Heeres für ihre Opfer belohnt werden. Selbst Arndt, der soeben 
im Auftrage Stein's seine feurige Schrift: „Was bedeutet Landwehr und 
Landsturm?“ herausgab, erhob sich nicht über die allgemeine Ansicht.
	        
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