Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

594 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
neuen Institutionen namentlich in den neuen Provinzen begegnen würden, 
und befahl daher eine schonende, schrittweis vorgehende Ausführung. 
Ueberhaupt war noch Alles im Werden. Das Gesetz selber erkannte 
an, daß unmöglich alle Wehrfähigen in das stehende Heer eintreten konnten 
und ein Theil davon sogleich der Landwehr zugetheilt werden mußte; 
doch über die Höhe der jährlichen Aushebung war noch nichts endgiltig 
beschlossen. Nur soviel stand schon fest, daß die trostlose Lage des Staats- 
haushalts eine sehr starke Linienarmee nicht gestattete; neben diesen über- 
wältigenden finanziellen Sorgen mußten die schweren militärischen und 
volkswirthschaftlichen Bedenken, welche gegen die unverhältnißmäßige Ver- 
mehrung der Landwehr sprachen, vorläufig zurücktreten. Desgleichen konnte 
nur die Erfahrung zeigen, ob das Offizierscorps der Landwehr wirklich 
im Stande war, wie dies Gesetz annahm, völlig selbständig neben den 
Offizieren der Linie zu stehen. Aber wie unfertig auch Manches noch 
erschien, der große Wurf war doch gelungen. Mit diesem Volksheere 
war ein großartiges Mittel sittlicher Volkserziehung gefunden, trefflich 
geeignet die alten Tugenden der Nation, Muth, Treue, Pslichtgefühl zu 
entwickeln, ihre natürlichen Schwächen, Eigensinn, Particularismus, Ver- 
schwommenheit zu bekämpfen. Der Staat wurde nun erst diesem staat- 
losen Geschlechte wahrhaft lebendig, wie den Bürgervölkern des Alterthums, 
trat mit seiner begeisternden Majestät und seiner herben Strenge in jedes 
Haus hinein. Die kurze Dienstzeit zwang die Mannschaft und mehr noch 
die Offiziere zur Anspannung aller Kräfte; das Freiwilligenjahr bot das 
einfache Mittel den höheren Ständen die ungewohnte Last erträglich zu 
machen. Der alte, mit dem Wesen dieses Staates fest verwachsene Ge- 
danke Friedrich Wilhelm's I. fand endlich die Gestaltung, welche den 
demokratischen Anschauungen des neuen Jahrhunderts entsprach und doch 
der unzerstörbaren Aristokratie der Bildung gerecht wurde. 
Das Wehrgesetz gab ein unzweideutiges Zeugniß für die friedfertigen 
Absichten der Regierung; mit einer Feldarmee, die zur größeren Hälfte 
aus Landwehren bestand, ließ sich eine Politik des unruhigen Ehrgeizes 
schlechterdings nicht führen. Gleichwohl sprach aus dem Aufgebote der 
gesammten Nation zugleich der bestimmte Entschluß, die wiedererrungene 
Großmachtstellung der Monarchie zu behaupten. Daher denn an allen 
Nachbarhöfen lebhafte Beunruhigung. Mochten einzelne Generale der 
alten Schule über das preußische „Milizwesen“ verächtlich absprechen, die 
Kriegsthaten dieses Heeres standen doch noch in zu frischer Erinnerung. 
Der französische Kriegsminister Dupont zog sogleich mit ersichtlicher Sorge 
bei dem preußischen Gesandten Erkundigungen ein und erhielt die trockene 
Antwort: „wir wollen große Streitkräfte ohne ein unverhältnißmäßig 
großes stehendes Heer.““') Noch besorgter war die Hofburg; sie fürchtete 
  
*) Goltz's Bericht, Paris, 26. Sept. 1814.
	        
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