Talleyrand und die Kleinfürsten. 623
Meisterhaft verstand Talleyrand diesen Groll der Mittelstaaten zu schüren;
das gesammte öffentliche Recht schien ihm in Frage gestellt, wenn die
Kronen von Baiern und Württemberg bei der Neuordnung Europas nicht
ebenso vollberechtigt mitsprächen wie Preußen oder Rußland. So hob er
binnen Kurzem seinen gedemüthigten Staat wieder empor zu der althisto-
rischen Führerstelle an der Spitze der deutschen Kleinstaaten. Mit gutem
Grunde priesen die Franzosen ihren geschickten Unterhändler. König Lud-
wig überhäufte ihn mit Lob und fühlte sich vollends befriedigt, als der
Minister hochpathetisch schrieb: es scheine doch sehr unziemlich, daß man
hier in Wien drei oder vier Könige und eine Menge von Prinzen auf
dem Balle eines Privatmannes versammelt finden könne; „man muß nach
Frankreich gehen um das Königthum in jenem Glanze und jener Würde
zu sehen, welche es in den Augen der Völker zugleich erhaben und liebens-
werth erscheinen lassen!“ Czar Alexander aber sagte: „Talleyrand spielt
hier den Minister Ludwig's XIV.“ — ein treffendes Wort, das seitdem
oftmals auf die neufranzösische Politik angewendet worden ist.
Kaum vierzehn Tage nach jener stürmischen Sitzung hatte sich Gentz
schon völlig mit dem dreisten Franzosen ausgesöhnt. Auch der Czar ließ
den gefährlichen Gegner mehrmals zu geheimen Unterredungen über Polen
rufen und gab ihm dadurch selber das Recht sich in die polnischen Händel
einzumischen. Vor Allen die deutschen Kleinstaaten umdrängten dienst-
beflissen den hochherzigen Mann, der die Gleichberechtigung von Rußland
und Schwarzburg-Sondershausen so nachdrücklich verfocht. Das siegreiche
Deutschland erlebte die Schmach, daß sein hoher Adel sich abermals, wie
einst in den Tagen unserer Niederlagen, um die Gunst eines französischen
Subalternbeamten bewarb. Wie die kleinen Herren im Jahre 1803 zu
Matthieu, drei Jahre darauf zu dem alten Pfeffel als Bittsteller gezogen
waren, so schlichen sie jetzt in das bescheidene Stübchen zu Talleyrand's
vertrautem Rathe, demselben La Besnardiere, der schon vor sieben Jahren
in Posen sich in den Künsten deutscher Vaterlands-Gründung geübt hatte.
Am lautesten lärmten die Baiern; mit Montgelas hatte Talleyrand be-
reits auf der Reise, in Baden eine Besprechung gehalten. Selbst Karl
August von Weimar erhob sich nicht über das Gefühl vetterschaftlicher
Theilnahme und zog sich erst spät von den Albertinern zurück, als er die
unsauberen Hintergedanken der sächsischen Partei durchschaute. Geschäftig
trugen die französischen Unterhändler allerhand übermüthige Aeußerungen
hin und her, die angeblich im preußischen Heere laut geworden. Die
Pariser Zeitungen erzählten, „das anmaßende Benehmen der preußischen
Generale in Wien“ habe selbst die wärmsten Freunde des ländergierigen
Staates abgestoßen, während doch von allen namhaften preußischen Gene-
ralen allein der gemessen bedachtsame Knesebeck anwesend war.
Die von späteren Historikern nachträglich gegen Preußens sächsische
Pläne erhobenen Einwände kamen im Jahre 1814 Niemandem in den